Buchstabengeflüster
> Wohlfühlen auf Bayerisch Der Roman beginnt direkt mit Livs Überfahrt zur Roseninsel. Eigentlich arbeitet sie in Berlin als Ärztin, doch ein bestimmter Abend hat ihr Leben durcheinandergewirbelt, weshalb sie nun eine Auszeit braucht. Da kommt ihr die Stelle als Vertretung des Inselgärtners mitten im Starnberger See gerade recht. Zu Beginn geschieht ihr ein Missgeschick, wodurch sie einen versteckten Hohlraum findet, in dem sich das Tagebuch der jungen Magdalena befindet, die einstmals auf der Insel lebte. Für Liv ist die Insel eine Zuflucht vor der realen Welt und ihrer Vergangenheit. Für Magdalena im Jahr 1889 jedoch wird sie zu einem Gefängnis, wodurch sie aus ihrem bisherigen Leben gerissen wurde. Die Geschichte wird abwechselnd in der Gegenwart und Vergangenheit erzählt, sodass man die beiden Frauen begleiten kann. Die Autorin verknüpft beide Erzählstränge perfekt miteinander. Es werden stückchenweise Hinweise gegeben, wodurch Liv im Jetzt immer mehr den Spuren von Magdalena und der Vergangenheit Bayerns nachgehen kann. Ich weiß gar nicht genau, was an Anna Reitners Schreibstil so besonders ist, aber ich habe mich direkt in der Geschichte wiedergefunden und mit wachsender Begeisterung Seite um Seite verschlungen. Vielleicht waren es die lebendig beschriebenen Protagonisten oder auch die bildhafte Schilderung der schönen Landschaft des Starnberger Sees und der Roseninsel. Damit ist auch besonders das Lokalkolorit zu erwähnen, das der Geschichte ihrem Rahmen gibt. Direkt am ersten Tag bekommt Liv beim Seewirt bayerisches Weißbier und Obazda serviert. Dass dieser in der bayerischen Mundart redet, ist natürlich klar. Auch die Vergangenheit, als Bayern noch ein Königreich war, hat Anna Reitner in der Villa lebendig werden lassen. Vor der malerischen Kulisse des Starnberger Sees erheben sich die bayerischen Alpen. Und auch die Roseninsel mit ihren Rosen, der Villa „Casino“ und den Pfaden durch die Bäume werden mit Begeisterung von der Autorin beschrieben. Ich hab die Insel vor dem Lesen gegoogelt (m. Ecosia) und möchte sie nun unbedingt auch mit eigenen Augen sehen. Einzig die Beziehung zwischen Liv und Johannes konnte ich nicht gänzlich nachvollziehen. Johannes finde ich sehr sympathisch und attraktiv, aber „da war plötzlich etwas zwischen ihnen“ (S. 170), was ich gerne etwas näher ausgearbeitet gehabt hätte. Auch seine Rolle bei Livs Problem war zu gewichtig, was ich nicht ganz realistisch finde. Fazit: Eine schöne und atmosphärische Geschichte über zwei junge Frauen vor der malerischen Kulisse des Starnberger Sees und seiner Roseninsel. Liv nimmt sich auf der Insel eine Auszeit, Magdalena im Jahr 1889 fühlt sich dort eher gefangen und einsam. Besonders der schöne Erzählstil der Autorin trägt viel zu der Geschichte bei, sodass ich hoffe, dass Anna Reitner noch mehr bayerische Geschichten schreiben wird.