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gwyn

Posted on 3.5.2021

«Das ist kein Vieh, Gijs, das ist Proviant.» Feuerschiffe sind im wirklichen Sinn keine Schiffe, denn werden an seefahrtswichtigen Positionen verankert, an denen ein Leuchtturm schwerlich zu errichten ist. Die meist roten Boote geben Zeichen, signalisieren den Schiffen die Position, leuchten in der Nacht; im Nebel geben sie zusätzlich Hornsignale. Manche von ihnen sind bemannt, wie die «Texel». Eine Mannschaft wird eingeschifft für eine bestimmte Zeit, dann von einer anderen abgelöst. Hier ist Schiffskoch Lammers Herr der Kombüse, serviert der Mannschaft täglich ein anständiges Dreigangmenü. Auf engstem Raum schiebt die Besatzung Dienst, ein langweiliges Seemannsdasein, da man ja niemals einen Hafen ansteuert; überhaupt nirgendwohin steuert. Täglich auf dem gleichen Fleck, täglich eine stupide Arbeit. Das ändert sich, als der Koch, in seinem Rucksack versteckt, lebendigen Proviant an Bord bringt: einen kleinen Ziegenbock. «Aber wir sind hier mehr auf See als alle anderen zusammen. Wir leben auf See, die anderen sind nur auf dem Wasser zu einem Hafen unterwegs, zu einem Ort, an dem es keine See mehr gibt. Für sie ist die See eine Unterbrechung, für uns eine Bestimmung.» Auf diesem Schiff, über das die meisten Matrosen nur lächeln, versammeln sich verschrobene Typen. Matrose Geert Snoek notiert nicht nur die Messdaten, er hält in seinem Notizbuch Datum, Urzeit, Position und Farbgebung fest: «Himmel: schwellend grau-weiß, aber blau am Horizont; See: hochwirbelnde Flecken Schwarz in Graugrün.» Er sinniert über die täglich wechselnde Farbgebung der Natur, versucht sie in Worte zu fassen. Das Böckchen wird ein gutes «Gulai kambing» geben, ein Ziegencurry nach einem Rezept seiner indonesischen Mutter, so jedenfalls von Lammert geplant. Es springt herum und nimmt zu, aber auch die Sympathie zu ihm nimmt zu ... Lammert spürt, die Malaria in sich hochwachsen, er wird ein paar Tage voll ausfallen. Doch vorher ist das Böckchen dran! Nur wo mag es sein? Plötzlich ist die Ziege verschwunden ... «Der Wind frischte auf sechs Beaufort auf, das Schiff stampfte ruhig und gut gelaunt, Wellen schäumten vorüber. Über dem östlichen Horizont sah man die vier Lichtblitze des Lange Jaap, sehr weit im Süden glühte ein Streifen Himmel über den Hochöfen von IJmuiden.» Auf engsten Raum zusammengedrängt, doch jeder ist hier für sich allein, jeder hat seine Gründe, hier gelandet zu sein. Zu den Mahlzeiten kommt man zusammen, genießt die Geselligkeit, doch dann zieht es die Einzelgänger in ihre persönlichen Rückzugsorte. Ein Böckchen, das alles durcheinanderwirbelt, ein Unwetter, das alles verschluckt, ein Koch im langen Delirium der Malariaanfälle. Eine nette Novelle, humorig, aber gleichzeitig mit Tiefgang. Eine feine Lektüre für Meeresfreunde, gegen Meeressucht, für Schiffsliebhaber. Mathijs Deen, geboren 1962, ist Schriftsteller und Radioproduzent. Er veröffentlichte Romane, Kolumnen und einen Band mit Kurzgeschichten, der für den renommierten AKO-Literaturpreis nominiert war. 2018 wurde ihm für die literarische Qualität seines Werks der Halewijnpreis verliehen.

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