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Der Anfang: «Ich öffnete den Safe unter meinem Schreibtisch, schnappte mir meine alte Dienstwaffe und schlich lautlos und elegant zur Schlafzimmertür – bis ich auf einen Legostein trat und den Rest des Weges humpeln musste.» Eine schwarze FBI-Agentin wird von der CIA engagiert und auf den revolutionären Präsidenten von Burkina Faso, Thomas Sankara, angesetzt. Sie lässt sich darauf ein, obwohl sie eher mit seinen politischen Zielen sympathisiert, als ihn ans Messer zu liefern. Natürlich leidet ihr Gewissen gewaltig. So könnte man diese Lebensbeichte zusammenfassen. Ein Agentenroman. Ein guter Roman. Wer allerdings auf knallharte Action steht, den den muss ich enttäuschen. Es ist ein Buch der leisen Töne, nicht nur das, man benötigt Geduld. Die Actionszene steht gleich am Anfang. Ein Geräusch mitten in der Nacht. Der Schatten eines Mannes. Im US-Bundesstaat Connecticut dringt ein Killer in das Haus von Marie Mitchell ein. Sie kann ihn entwaffnen und erschießt ihn, ruft die Polizei: Notwehr. Aber sie weiß, wer diesen Mann geschickt hat und dass ihre Vergangenheit als Spionin sie nun einholt. Darum packt sie die Koffer und macht sich mit ihren vierjährigen Zwillingssöhnen mit gefälschten Pässen auf den Weg nach Martinique zu ihrer Mutter Agathe. «Man kann einen Revolutionär umbringen, aber man kann nie die Revolution umbringen.» Dort angekommen, schreibt ihren Söhnen einen langen Brief, damit sie später verstehen, was passiert ist – sollte sie doch noch von ihren Verfolgern gestellt werden. Sie erzählt ihre Familiengeschichte, beginnend im New York der 1960er-Jahre, erzählt, wie ihre Mutter, Agathe, eines Tages verschwand, da sie eine Spionin war und ihren Job erledigt hatte. Verschwunden ohne ein Wort zu sagen. Marie bleibt mit Schwester Helene, die später unbedingt zum Geheimdienst gehen will, beim Vater zurück, der bei der Polizei arbeitet. Das Verhältnis zwischen den Vater und Helene ist nicht das Beste, er schickt sie irgendwann zur Mutter nach Martinique. Ein weiterer Verlust für Marie. Helene geht später zur Army, stirbt bei einem ominösen Unfall kurz vor ihrer Rückkehr ihres Einsatzes in Vietnam. Marie wird Polizistin und geht zum FBI, berichtet von Diskriminierungen der schwarzen Cops, insbesondere der Frauen; von Übergriffigkeiten der Männer. Beim FBI ist sie zuständig für die Rekrutierung von Informanten aus Bürgerrechtsbewegungen, trifft sich mit ihnen und schreibt ihre Berichte dazu. Als Frau, besonders als schwarze Frau, hat sie keine Möglichkeit des beruflichen Aufstiegs. Daher ehrt es sie, als sie in den 1980er-Jahren von der CIA als zeitlich befristete Auftragnehmerin (Agentin) angeheuert wird. Sie soll sich in die Nähe von Thomas Sankara begeben, sein Vertrauen erarbeiten, möglichst seine Geliebte werden, um Informationen zu erhalten, die man gegen ihn verwenden kann. Denn der amerikanische Geheimdienst unterstützt den amerikafreundlichen Gegenkandidaten Blaise Compaoré, den sie zum Präsidenten von Burkina Faso machen wollen. «Ich kann euch nur raten, seid keine moralischen Absolutisten. Wenn ihr die Menschen, von denen ich euch hier erzähle, nach dem Lesen in gut und schlecht einteilt, dann habt ihr nicht verstanden, worauf ich hinaus will» Historisch: Thomas Sankara war als sozialistischer Revolutionär durch einen Staatsstreich Präsident von Obervolta geworden. Er benannte das Land in Burkina Faso («Land des aufrichtigen Menschen») um, und er lehnte eine Rückzahlung der Schulden der Dritten Welt an den Westen ab, brachte eine engagierte Gesundheits- und Frauenpolitik auf den Weg (er verbot u.a. die Beschneidung von Frauen), kämpfte gegen Korruption im Land. Und er war führend, die Accra einzurichten, die Westafrikanische Union, setzte sich gegen die Apartheid in Südafrika ein. 1987 wurde Sankara bei einem Staatsstreich des Militärs unter Führung Blaise Compaoré ermordet, der ihm als Präsident folgte. «Und Jungs, ich war ja auch FBI-Agentin. Was ihr über euren Großvater und Mr. Ali denkt, trifft also auch auf mich zu. Fred Hampton, Bunchy Carter, Anna Mae Aquash – alle gehörten zu Organisationen, deren Infiltrierung von der Regierung damit gerechtfertigt wurde, sie seinen Kommunisten und Staatsfeinde. Alle waren US-amerikanische Staatsbürger, die ermordet wurden, nachdem sich jemand wie ich vom FBI eingemischt hatte.» Letztendlich geht es hier um Kommunistenjagd im eigenen Land, und um das Einmischen von großen Staaten in innere Angelegenheiten von kleinen Staaten, bis hin zum Kippen von Regierungen. In Zeiten des sogenannten Kalten Krieges waren alle Staaten, die sozialistisch oder kommunistisch geführt wurden, oder auch nur einen Hauch, dessen erahnen ließen, Ziel der USA, sie zu attackieren, zu infiltrieren, Paramilitärs mit Waffen zu beliefern, um Regierungen zu kippen. Gleichzeitig beschreibt Lauren Wilkinson die Schwierigkeit, als schwarzer Mensch in einem Job zu bestehen, der von Weißen dominiert wird, als Frau, als schwarze Frau, in einem Job auszuhalten, der absolut von Männern dominiert wird, weißen Männern, die an allen Schaltstellen sitzen. In sofern ist der Roman sehr lesenswert. Resümierend würde ich die Geschichte als Lebensbeichte oder Tagebuch bezeichnen, aber nicht als Thriller. Es geht zunächst tief in die Familie, bis der Agentenjob beginnt. Der Anfang zieht in die Story hinein, doch dann flacht sie ab, zieht sich ellenlang. Die ausführliche, distanzierte Berichterstattung von Maria hat mich das Buch oft aus der Hand legen lassen. Mir fehlt die Dynamik, das Element der Spannung. Da Lauren Wilkinson ihren Plot in wechselnde Zeitebenen angelegt hat, ist schnell klar, worauf die Geschichte hinläuft, und insofern ist auch kein Thrill in der Geschichte angelegt. Interessant zu lesen, aber die Spannung bleibt nach den ersten Seiten leider liegen. Lauren Wilkinson, aufgewachsen in New York City, lebt in der Lower East Side. Sie lehrte Schreiben an der Columbia University und am Fashion Institute of Technology. Ihre Texte sind im Granta Magazine erschienen. American Spy ist ihr erstes Buch.