letterrausch
Es gibt Romane, bei denen man nachvollziehen kann, warum andere Menschen sie mögen und warum sie erfolgreich sind – auch, wenn man sie selbst nicht mag. Es ist möglich, über den eigenen Geschmack hinaus den „Wert“ des Buches zu bemessen. Manchmal jedoch funktioniert genau das nicht mehr, da lässt einen ein Buch so hängen, stellt sich einem so in den Weg, dass es völlig unmöglich wird zu erahnen, was ein anderer Leser wohl an dieser Geschichte finden mag. So ein Roman ist für mich „Normale Menschen“ der Irin Sally Rooney, der gar mit mehreren Literaturpreisen bedacht worden ist. Worum es geht, ist relativ schnell abgehandelt: Es geht um Marianne und es geht um Connell. Die beiden haben etwas miteinander. Dann wieder nicht. Und dann wieder doch. Und wieder nicht. Und so geht es weiter – ein ganzes Buch lang. Ende. Der Leser lernt die beiden als Schulabgänger in irgendeinem irischen Kaff kennen. Er ist der Sohn einer noch sehr jungen, alleinerziehenden Mutter. Sie ist reich, aber ihre Familie ist ein Graus. Seine Mutter putzt bei ihrer Mutter, die beiden gehen in eine Klasse. Und mögen sich. Und haben Sex. Vermutlich, weil sie aus unterschiedlichen Schichten kommen, beschließen sie, ihre Beziehung geheimzuhalten (so richtig klar sind mir die Beweggründe hinter dieser Entscheidung nie geworden). Woraufhin er eine andere zum Abschlussball einlädt und sie tödlich beleidigt ist. Man trennt sich und trifft sich an der Uni in Dublin wieder. Zwischendurch haben beide andere Beziehungen, aber letztendlich landen sie immer wieder beeinander. Sie versichern sich ständig, eine „offene Beziehung“ zu haben, was zu vielerlei völlig unnötigen Verletzungen auf beiden Seiten führt. Als Leser fand ich den Roman auf jeder möglichen Ebene anstrengend bis unerträglich. Die Geschichte um Marianne und Connell ist so überflüssig wie ein Kropf und wären die beiden in der Lage, einfach mal ehrlich miteinander zu sprechen, wäre der Roman eine Kurzgeschichte von zwanzig Seiten und dann vorbei (interessanterweise ist „Normale Menschen“ wohl aus einer Kurzgeschichte hervorgegangen). Zugegeben, aus nicht erfolgter oder nicht erfolgreicher Kommunikation können Konflikte erwachsen, die zu beobachten für einen Autor und einen Leser spannend und bereichernd sein können. Doch diese Figuren tappen über 300 Seiten lang in immer wieder die gleichen Fallen, ohne irgendeinen Lerneffekt. Ja, vielleicht ist das „normal“, aber lesenswert ist es auf keinen Fall. Und für eine tragfähige Handlung ist es eben auch einfach zu wenig. Dazu kommt, dass keiner der Charaktere im Buch (bis auf Connells Mutter) wie ein wirklicher, echter Mensch beim Leser ankommt. Marianne und Connell sind um die zwanzig und benehmen sich so spleenig und neurotisch wie mittelalte New Yorkerinnen nach 20 Jahren Psychotherapie. Marianne weiß nicht, welcher Fluss durch ihren Ort fließt und hat auch keine Ahnung, welche nächste größere Stadt in der Nähe liegt. Aber sie ergeht sich in seitenlangen Emails über den Nahost-Konflikt. Connell ist an seiner Schule ein beliebter Schüler, an der Uni kann ihn aber irgendwie niemand leiden, woraufhin er urplötzlich eine Depression entwickelt. Aha. Die Nebenfiguren sind noch schlimmer, da quasi nur kurz hingerotzte Karikaturen. Mariannes „Freundinnen“ sind alle austauschbar, keine hat einen eigenen Ton. Sie sind nur dazu da, Marianne herunterzuputzen und auszunutzen. Ihre Mutter hasst sie, ihr Bruder wird regelmäßig handgreiflich – all das passiert, ohne dass die Autorin dem Leser eine Chance gibt, diese Charaktere irgendwie einzuschätzen oder ihre Beweggründe und Dynamiken zu verstehen. Als Leser wird man völlig allein gelassen. Auch das ist mir, gerade bei einem Roman, der nicht auf äußere sondern innere Handlung setzt, schlicht zu wenig. Und zu guter Letzt ist da noch Sally Rooneys leider nicht vorhandenes Schreibtalent, das durch die teils fragwürdige Übersetzung ins Deutsche nur noch überdeutlicher hervorsticht. Rooney schreibt sehr dialoglastig (kein Wunder, dass aus dem Buch eine Miniserie wurde, es bedurfte vermutlich kaum einer Bearbeitung). Sie schreibt allerdings auch sehr parataktisch. Nun kann so etwas funktionieren und den Leser soghaft ins Geschehen ziehen. Allerdings geht der Plan hier völlig in die Hose, denn die vielen Parataxen sind nur dazu da, den Text aufzublähen und „künstlerisch“ aussehen zu lassen. In Wahrheit ist der literatische Mehrwert – und selbst der Mehrwert für die Handlung Null, wenn Sally Rooney in etlichen aufeinander gehäuften Sätzen beschreibt, wie Connell Rotwein eingießt oder Marianne abwäscht. Dazu kommen in der Übersetzung dann Wortungetüme wie Vestibül und Remise – wohlgemerkt in einem zeitgenössischen Roman, der in zeitgenössischen irischen Häusern spielt –, während Marianne und Connell von „festem Freund“ und „fester Freundin“ sprechen. Süß. Kurzum: Nichts an diesem Roman war für mich rund und wenn Sally Rooneys unglückliche Charaktere und ihre unbeholfene Schreibe eine irgendwie charakteristische Stimme für ihre Generation (sie ist Jahrgang 1991) sein sollen, wie der Guardian postuliert, dann tut es mir um diese Generation wirklich leid. Mir erscheint sie eher wie eine junge Autorin, die absolut nichts zu sagen hat.