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mabuerele

Posted on 30.4.2021

„...Kurz nach ihrem 18. Geburtstag zerbrach Amras Welt in kleine Stücke...“ Mit diesen Worten beginnt ein Buch, das mich stellenweise wütend gemacht hat. Es zeigt, dass Gesetz und Menschlichkeit zwei Seiten einer Medaille sind. Amra ist in Deutschland geboren. Sie hat die Realschule abgeschlossen und viel Freude an ihrer Lehre als Kraftfahrzeugmechatronikerin. Noch ahnt sie nicht, dass sie diese Lehre nie abschließen darf. Schon in jungen Jahren musste sie stark sein, weil ihre Mutter nach dem Tode des Vaters häufig in Depressionen abglitt. Doch sie hatte Freunde an ihrer Seite, die zu ihr gestanden haben. Sie weiß, dass ihre Eltern aus dem Kosovo stammen, kennt aber weder die Sprache, noch das Land. „...Flora Mekuli hatte ihre Tochter nie mit der Tatsache konfrontiert, dass sie beide nur geduldete Gäste in diesem Land sind...“ Der Schriftstil der Buches passt sich perfekt den Gegebenheiten an. Freude und Ausgelassenheit zur Geburtstagsfeier weichen wenige Tage später einer tiefen Niedergeschlagenheit. Die Wut der Freunde und ihres Lehrmeister ist in jeder Zeile spürbar, als sie erfahren, dass Amra in den Kosovo ausgewiesen wird. Amra selbst gehen die folgenden Gedanken durch den Kopf. „...Sie selbst konnte doch nicht gemeint sein, sie gehörte doch hierher und nirgendwo anders hin. Sie war immer hier gewesen, sie war hier geboren...“ Wenige Tage vor Ablauf der Frist erscheinen zwei Polizisten, nehmen Amra mit und setzen sie in ein Flugzeug. Dass sie nicht ohne Geld und ohne Anlaufadresse sofort auf der Straße landet, ist der schnellen Reaktion ihre Mutter zu verdanken. Die hat ihr einige Euros und die Adresse ihres Bruders in die Tasche gesteckt. Das Besondere des Schriftstils besteht darin, dass ein Teil neutral erzählt wird, dann aber in kursiv gedruckten Abschnitte einige der Protagonisten persönlich zu Wort kommen. Dadurch erhalte ich einen Einblick in die Gedankenwelt von Amra, ihrer Mutter, ihren Freunden, aber auch ihren Onkel. Und der ist alles andere als begeistert, als Amra plötzlich vor der Tür steht. Hinzu kommt, dass sie sich nicht so verhält, wie man es von einer jungen Frau imKosovo erwartet. Eine Arbeit in der Autowerkstatt kann sie vergessen, dafür wird ihr der erste mögliche Bräutigam vorgestellt. Amra kommt jetzt entgegen, dass sie nur wenige frauliche Formen hat. Sie verkleidet sich als Junge und nennt sich Amir. Damit beginnt ihr Leben als Mann auf der Straße. Im Winter findet er Hilfe. Es bleibt die Erkenntnis: „...Und doch war es nicht sein Leben. Sein Leben hatte man ihm genommen, ihn einfach hinausgeworfen, ihn auf den Müll geworfen – und Haki hatte ihn gefunden...“ Haki hat er es zu verdanken, dass er den Winter überlebt hat. Nach einer schweren Grippe stand sein Leben auf Messers Schneide. Währenddessen unternehmen ihre Freunde in Deutschland alles, um ihr zu helfen. Doch die Bürokratie kennt keine Gnade. Ganz nebenbei ringt Amir um seine sexuelle Orientierung. Er hat problemlos seine Identität von Amra zu Amir und später zu Amal gewechselt. Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Auch wenn sich das eine oder andere Gesetz mittlerweile geändert hat, sind solche Schicksale wie Amras nicht ausgeschlossen. Eine junge Frau wird in ein Leben ohne Zukunft geschickt. Ich möchte meine Rezension mit einigen Worte aus dem Nachwort der Autorin beenden: „...Woher nehmen „wir“, woher nehmen diejenigen, die sich von uns zu unseren politischen Vertretern wählen lassen, das Recht, Menschen in ein Leben zu stürzen ohne Perspektive, mit der ständigen Ungewissheit, was am nächsten Tag geschieht, in dem Krankheit und Älterwerden nicht vorkommen dürfen […]? ...“

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