mabuerele
„...Sie schloss die Augen, tauchte ein in die verworrenen Erinnerungen, spürte das feuchtkalte Laub nicht mehr und auch nicht den Regen, der stärker geworden war. Sie träumte sich in ein warmes Zimmer an einen Tisch gedeckt mit einer Tasse heißem Kakao und einem blau - weißen Teller, auf dem ein Marmeladenbrot lag...“ Diese Gedanken von der ersten Seite des Buches gehören einer Frau, die mit zwei Problemen zu kämpfen hat. Sie ist dement und deshalb obdachlos. Am nächsten Morgen findet man sie tot in der Hasenheide. Der Fall landet bei Abigail Delego, auch wenn noch nicht klar ist, ob es wirklich ein Fall ist. Die Autorin hat einen spannenden Krimi geschrieben. Das Buch zeichnet sich unter anderen durch sehr exakte und umfangreiche Recherchen im Obdachlosenmilieu aus. Aber das ist nicht das einzige gesellschaftlich relevante Problem, das angesprochen wird. Der Schriftstil lässt sich flott leen. Er passt sich der jeweiligen Situation an. Für Hauptkommissar Stefan Breschnow ist es der erste Arbeitstag nach Entzug und Reha. Er muss akzeptieren, dass nicht er der Chef ist, sondern Abigail. „...Manchmal verstand er die Welt nicht mehr und nüchtern war sie noch schwerer zu ertragen. Sehnsüchtig starrte er auf sein früheres Alkoholversteck...“ Da Breschnow gern eigene Wege geht, sind Konflikte vorprogrammiert. In Stresssituationen wird er mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Der Griff zur Flasche scheint die einzige Lösung. Diejenigen, die ihn davor zurückschrecken lassen, sind seine Nichte Iris mit ihrer kleinen Tochter. Beide sind bei Breschnow eingezogen. Außerdem steht Breschnow auf dem Kriegsfuß mit seinem Smartphone. Schmitti kommentiert das so: „...Breschnow schreibt dir eine SMS? Das kann nicht sein. Er kann ja noch nicht mal einen Akku aufladen...“ Die Tote war immer mit Charlotte unterwegs. Die wird vermisst und verzweifelt von ihrer Enkeltochter Annalisa gesucht. Breschnow versteht sie zu nehmen und führt mit ihr ein inhaltsreiches Gespräch. Dabei blendet er die Misstöne zwischen Mutter und Tochter gekonnt aus. Sehr anschaulich werden die Zustände in der Obdachlosenunterkunft beschrieben. Für Jan, einem der dortigen Mitarbeiter, ist es nicht einfach, die Zügel in der Hand zu behalten. Bei den Ermittlungen werden so nach und nach die Schicksale einiger der Obdachlosen erzählt. Sie passen in kein Schema und können ganz unterschiedlich sein. Den Zusammenhang von Obdachlosigkeit und Demenz bringt das folgende Zitat schlaglichtartig zum Ausdruck: „...Barbara Ante hat ihre Wohnung verlassen, um irgendetwas zu erledigen und hat nicht mehr zurückgefunden...“ Erst als die Ermittler tief in die Vergangenheit der Toten eintauchen, ergeben sich neue Ansätze. Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es verfügt über einen hohen Spannungsbogen und führt mich in eine Welt, die sehr vielschichtig ist.