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Buchdoktor

Posted on 29.4.2021

Die Begegnung der 15-jährigen Iris mit der scheuenden Schimmelstute Bellina klingt wie ein Märchen. Das Pferd scheute, als während eines Martinsumzugs ein Böller explodierte, Iris griff beherzt zu und Andreas, der Besitzer, lädt sie zu einer Gratis-Reitstunde ein – in Gutengermendorf im Löwenberger Land, irgendwo Jotwede im Norden Berlins. Iris kennt sich in der Gegend aus, weil die Familie ihrer Freundin Lisa dort ein Wochenendhaus hat und die Freundinnen die Bahnstrecke schon oft gemeinsam gefahren sind. Beide hatten sich längst ein Pflegepferd suchen wollen. Vielleicht ist es ja ein Zeichen, dass Bellina und Bellinda, der Name von Iris Mutter, sich so stark ähneln. Seit dem Tod von Iris Mutter herrscht jedoch Funkstille zwischen den Mädels, weil man über den Tod in ihrem Alter einfach nicht redet und auch nicht über Armut und Scham. Beide reagieren gekränkt, keine tut den ersten Schritt. Iris Vater ist mit dem Alltag überfordert und sie selbst kann die peinlichen Situationen allmählich nicht mehr decken, die sich durch die Passivität ihres Vaters ergeben. In Iris Leben fehlt alles: Geld, Verständnis – und natürlich die Freundschaft zu Lisa. Verzweifelt läuft sie von zuhause weg und setzt noch eins drauf, indem sie mit den Hunden von Lisas Familie untertaucht. Werwolf und Waswolf sollen Hals über Kopf ins Tierheim gebracht werden, weil sich angeblich die Tierhaarallergie von Lisas Bruder plötzlich verschlechtert hat. In dieser absurden Situation findet Iris - für sie überraschend - Hilfe bei Lukas, bei Seteney, deren Oma überzeugt davon ist, dass Essen Leib und Seele zusammenhält, und schließlich bei einer Dorfgemeinschaft, die so klein ist, dass in ihr beim besten Willen niemand untertauchen kann. Katharina Hackers Leser können verfolgen, wie das Bild ihrer Icherzählerin von Freundschaft förmlich Haken schlägt und sie eine vorgefasste Meinung nach der anderen über Bord werfen muss. Offenbar ist Iris doch nicht das bemitleidenswerte Opfer, für das sie sich bisher hielt, und kann aktiv etwas an ihrer Familiensituation verändern. Hunde und Pferde bringen die Leute zum Reden, aber mit Till und mit Hanns mit dem Deerhound treten zugleich tatkräftige Charaktertypen auf, die die Handlung vorantreiben. Das Problemknäuel um Andreas Reiterhof herum wirkt bis zur Auflösung in letzter Minute zwar etwas zu kompliziert gesponnen und die mitlaufende Mahnung, andere Menschen hätten auch Probleme, ist inzwischen schon etwas abgenutzt. Iris jedoch findet, was sie im Moment am nötigsten braucht: Vertrauen in ihre eigenen Stärken und das Gefühl, gebraucht zu werden. Ein spannendes, leicht märchenhaftes Abenteuer im ländlichen Brandenburg – mit Pferden und Hunden.

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