stefanie aus frei
Fool (If You Think It’s Over) - Wer aber ungestraft sein will, der bleibt ein Narr In Jena wird der Student Sebastian Rode zusammengeschlagen. Henry Kilner und seine ihm gegenüber oft mütterlich auftretende ältere Kollegin Linda Liedke, 52, ermitteln. Mit Fahndungsfotos suchen sie nach zwei Männer und der Frau, um die es bei der Auseinandersetzung gegangen sein soll. Es finden sich Zeugen, die Männer können ermittelt werden, doch der Haupttäter ist verschwunden. Untergetaucht? Henry kommen Zweifel, doch er kann sie an nichts festmachen - zunächst. Dann wird eine Wasserleiche gefunden und Henry Kilner ist sich sicher. Er verbeißt sich in den Fall. Ich habe das Buch als Rezensionsexemplar erhalten; es ist mein erstes von Autor Christoph Heiden. Meine Meinung ist etwas geteilt: In letzter Instanz habe ich den Text an einem Abend inhaliert, hatte aber zuvor mehrere Anläufe benötigt, bei denen ich den Anfang als sehr schlecht geschrieben empfand (Tipp: wem das ähnlich ergeht, bitte dranbleiben bis Kapitel 3). Zuerst zu dem, was mich abends wachhielt: Mir gefiel, wie man als Leser sehr stark bei dem sympathischen Kilner war. Ganz Whodunnit, kann der Leser parallel ermitteln; sogar mit Wissensvorsprung: Gleichzeitig wird man in verschiedene Nebenstränge geführt, aus Tätersicht, aus Sicht der anderen Beteiligten. Dabei war ich mir einer Sache bald sicher, wurde aber vom Autor geschickt überrascht. Was ich als negativ empfand: Der Kniff mit den Nebensträngen wurde zu Beginn des Buches mir zu stark überdreht: zuerst eine Szene mit einem Autounfall, dann die Ereignisse um den Angriff auf den Studenten, gefolgt von dem, was danach passiert (man weiß also bereits auf Seite 22, dass dem Gewalttäter jemand folgte, während die Polizei selbst nach Fund von dessen Leiche zuerst einen Suizid oder Unfall für möglich hält). Dann darf man noch ein Kapitel Henry beim Joggen begleiten und in seine Gedankenwelt (mit einer etwas eigenwilligen Variante von „gebrochener Ermittler“ durch eine Mobbingerfahrung in früher Kindheit), danach noch beide Kommissare beim Autofahren beobachten mit Vorstellungsrunde gegenüber der Leserschaft. Erst dann (das waren jetzt fünf Handlungsstränge) geht das Buch so halbwegs stringent los. Und bis hierhin war ich ziemlich genervt. Um das zu erklären: ich habe zur Zeit so um die 500 Krimis im Haus. Diese Macke mit Blicken in die Vergangenheit an der in die Irre leitenden Hand eines allwissenden Erzählers scheint eine Art aktuelle „Einstellungsvoraussetzung“ für Krimi-Autoren zu sein; der Blick in die Psyche des Täters oder das direkte Miterleben des Leids des Opfers sind gern gesehene „Zusatzqualifikationen“. Oder halt auch das, was klischeehaft einer macht wie der andere, speziell hier am Anfang nach meiner Meinung nicht sehr geschickt. Dazu empfinde ich (nur) in dem Abschnitt die Sprache als zumindest ungeschickt: die Kinder „plärren“, die Frau „keift“ – beides hat einen Beigeschmack im Gegensatz zu „schreien“ oder „schimpfen“, auch habe ich weniger Mitgefühl mit einem Kind, dessen „Dickkopf“ durch die Scheibe fliegt: “Der Junge flog an der Frau vorbei, zerbrach mit seinem Dickkopf die Frontscheibe und verschwand in eine Nacht, wo weder Augen noch Sterne leuchteten“. Wow, was ein Pathos! Im weiteren Verlauf bekommt der Autor hier die Kurve – das wird dann geschmeidiger. Interessant fand ich die Darstellung des Täters, der zum Opfer wird. Aus Sicht der Ermittler wird nur der Nachname genannt und man bekommt das Bild eines groben Brutalos. Als Opfer tritt der gleiche Mann mit dem Vornamen auf und rang mir mit seinem Kampf ums eigene Leben Respekt ab. Im Gegensatz dazu blieb das Mitgefühl für den Täter trotz dessen harter Vergangenheit aus. Insgesamt nicht schlecht (vom Anfang abgesehen), aber auch nicht wirklich über dem Durchschnitt. Ohne zu spoilern, aber Teile der Logik der Auflösung sind auch etwas verworren zwischen „Unschuldige sollen nicht leiden“ und der Auswahl des nächsten Opfers nach einem Gespräch im Freien, wenn auch nicht wirklich komplett unlogisch innerhalb eines gestörten Geistes. Die „dunkle Vergangenheit“ von Henry scheint der rote Faden in eine Fortsetzung zu sein – bis der „dunkle Mann“ genannt wurde, wirkten seine Erinnerungen jedoch etwas übertrieben. Genial fand ich die Zitate mit je einem Bibelzitat und einem Vers aus einem Chris Rea – Titel. Falls das eine Serie wird, würde ich es mit einem zweiten Band probieren, dabei aber mehr erwarten. 3,5 Sterne, abgerundet auf 3.