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Buchdoktor

Posted on 29.4.2021

Wenn Davies Mutter ihren Sohn an die frische Luft schickt, vermittelt sie dabei eine eigenartige Stimmung. Sie verhält sich, als würde sie ihren Sohn für längere Zeit nicht wiedersehen, zugleich sät sie bei mir als Leser Zweifel daran, dass sie ihren jugendlichen Sohn ernstnimmt. Davie ist in dem Alter, in dem Fußball für ihn noch interessanter ist als der Gedanke an Mädchen. Als in Davies Heimatort bei Newcastle die Nachricht die Runde macht, dass Jimmy Killen tot aufgefunden wurde und sein Freund Josh den Toten gesehen haben soll, bricht jedoch die Realität in Davies kindliche Idylle ein. Das düstere und zugleich strahlend helle Buchcover mit einem Kind vor dunkler, herbstlicher Szene bei Nacht und zwei Personen in einer gespiegelten farbigen Darstellung eines vor Leben strotzenden Baums lässt ahnen, dass Davies Welt aus Hell und Dunkel besteht, aus Geborgenheit und Trauer. Josh Todd ist offenbar bestens informiert und hat eine Theorie, wer der Täter gewesen sein könnte. Die Killens und die Craigs waren verfeindete Sippen, für Josh gibt es daher nur eine Erklärung, wie der Mann ums Leben gekommen sein muss. Davie wiederum träumt sich aus der Gegenwart fort zur Beerdigung seine Vaters, er schwebt förmlich aus der Realität heraus. Almonds Leser ahnen von dieser Szene an, dass der Junge noch einen langen Weg vor sich haben wird, bis er seine Trauer bewältigen kann. Davies Weg wirkt auf mich wie ein Pilgerweg zu sich und zur Person seines Vaters, den seine Mutter selbstverständlich mitvollzieht, so wie Eltern ein viel jüngeres Kind ernstnehmen würden, das zeitweise in einer Fantasiewelt lebt. Davie trifft auf Polizisten, Priester, den vertrauten Hausarzt, allesamt Figuren, die in einer Kleinstadt sicher von seinem Verlust wissen werden. Deutlich wird in Davies realen und fantastischen Erlebnissen eine Spaltung des Orts in verfeindete Wohnviertel, an der Religion und die Institution Kirche nicht unbeteiligt sind – und die an den Nordirland-Konflikt denken lässt. Ob man auf Davies Seite oder der von Jimmy Killen lebt, scheint reiner Zufall zu sein, ebenso, ob ein Kind von heute behütet aufwächst oder in einem anderen Jahrhundert zur Arbeit ins Bergwerk geschickt worden wäre. Davies ungewöhnlicher Pilger-Weg zu seiner Trauer um den verstorbenen Vater findet in einer vom Bergbau und unüberwindbaren Klassenschranken geprägten Region statt, in der Geschichte anhand von Kriegsverletzungen und von Arbeitsunfällen erzählt wird. Der Junge therapiert sich durch seinen Weg selbst, auf dem deutlich die Forderung an ihn hervortritt, ein ganzer Kerl zu werden. Für ganze Kerle gibt es offenbar kein Verhaltensmuster der Trauer. “Ein finsterheller Tag” zeigt den ungewöhnlichen Trauerprozess eines ungewöhnlichen Jungen. Davies Leben in verschiedenen Welten ist sicher eine Herausforderung für jugendliche Leser – die Zielgruppe ab 12 sollten Erwachsene jedoch nicht unterschätzen.

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