Gabriele
Die Protagonistin ist die älteste von zehn Geschwistern. Aus einem anfangs noch unbekannten Grund ist sie im Irrenhaus gelandet, wo sie einer Krankenschwester innerhalb von zwei Nächten ihr ganzes Leben erzählt. Als Leser taucht man tief ein in ihre Vergangenheit. Die Erstgeborene hatte die Aufgabe, sich um die jüngeren Geschwister zu kümmern. Schon früh verließ sie die Familie für ein eigenständiges Leben. Der äußere Schein war ihr sehr wichtig, was sie mir schon bald unsympathisch machte. Doch ein Buch sollte nicht nach Sympathie für die Figuren beurteilt werden, sondern nach dem Können des Autors, der Autorin. Auch nach dem, was er oder sie zu berichten hat. Und die Art der Berichterstattung. Letzteres langweilte mich über weite Strecken des Buches so, dass mir beim Lesen immer wieder die Augen zufielen. So ein ewig langer Monolog ist einfach eintönig, da kann das Erzählte noch so interessant sein. Die Erlebnisse der Protagonistin, deren Name kaum mal erwähnt wird, so dass ich ihn nicht mehr parat habe, sind sehr ausführlich beschrieben. Da erfährt man wie aus der jungen Frau aus armseligen Verhältnissen eine mondäne Dame wird, die soviel Geld zur Verfügung hat, dass sie ihre Ursprungsfamilie unterstützen kann. Man erfährt aber auch, dass Geld allein nicht alles ist. Mehr darf ich nicht erzählen, um den Lesern des Buches nichts vorweg zu nehmen. Ich möchte nur verraten, dass im letzten Drittel ein hohes Spannungsniveau aufgebaut wird, indem die Protagonistin sehr tief in ihr Inneres blicken lässt. Genau dieser Blick ins Innerste einer Frau war 1930, als das Buch erschien, äußerst ungewöhnlich. Marianne Philips (1886 – 1951) schreib das Buch im Rahmen einer Therapie, bei der sie sich selbst besser kennenlernen wollte. Einmal auf den Geschmack gekommen, veröffentlichte sie bis 1940 sechs Romane. Danach war ihr das Publizieren als Jüdin untersagt. Einiges hier erzählte nähert sich dem tatsächlichen Leben der Autorin an, die ebenfalls mit dem Nähen Geld verdiente und eigentlich nach Höherem strebte, wie dem von ihrer Enkelin verfassten Nachwort zu entnehmen ist. Judith Belinfante, die Enkelin, war es auch, die diesen Roman nun neu auflegen ließ.