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inavainohullu

Posted on 25.4.2021

"Der Eissalon" von Anna Jonas entführt uns ins Jahr 1957. Der 2. Weltkrieg liegt 12 Jahre zurück, doch seine Auswirkungen sind nach wie vor spürbar. Viele Menschen sind traumatisiert, kämpfen mit ihren Verlusten oder schlimmen Träumen, Wohnraum befindet sich in der Erneuerung und das Frauenbild ist ein stark konservatives. Auch Karina von Oedingshof macht mit Letzterem Erfahrung. Als Tochter aus gut situierter Hoteliersfamilie wird ihr das Privileg zuteil, das heimische Koblenz zu verlassen und eine Ausbildung auf einer Restaurantschule zu machen. Dort lässt sie sich jedoch vom Charme ihres Lehrers einwickeln, wird beim "Anbändeln" erwischt und fliegt von der Schule. Die Situation, dass man sie selbst als liderlich bezeichnet, während der Lehrer nur eine Verwarnung bekommt, beschämt Karina so sehr, dass sie die Familie vorerst gar nicht informiert, sondern sich in Bonn ein Zimmer zur Miete sucht. Bei Erika, die im Krieg ihre Familie verloren hat, findet sie einen Platz und trifft dort auf deren zweiten Mieter Ricardo, der nach dem Krieg aus Italien zurück nach Deutschland kam und neben seinem Kellnerjob, selbstgemachtes Eis verkauft. Aus ihrer beiden Geschichten wird bald Eine, denn Karina ist fest entschlossen, ihr eigenes Ding durchzuziehen, ganz egal, was die Familie sagt. Und so eröffnen sie und Ricardo schon bald ihren "Eissalon" und werden ein Paar, dass sich mit vielerlei Hindernissen konfrontiert sieht. Der Einstieg in die Geschichte gelang mir schnell und hat mir besonders deshalb so viel Freude gemacht, weil Karina entschlossen ist, mit vielen Konventionen zu brechen. In den 1950ern war Gleichberechtigung doch eher ein Fremdwort. Frauen hatten zu heiraten und sich danach um Kinder und Haushalt zu kümmern. Unterstanden so lange ihrem Vater oder einem älteren Bruder. Karina ist es bereits vor ihrer Ausbildung gelungen, sich durchzusetzen, um diese auch absolvieren zu können und versucht nach ihrem Rauswurf nun alleine zurecht zu kommen. Sie möchte ihrer Familie, besonders dem Vater beweisen, dass sie es auch selbst zu etwas bringen kann und hat keine Lust, einem Mann nur als schmückendes Beiwerk zu dienen. Auch Erika, ihre Vermieterin, die im Krieg all ihre Lieben verlor, kämpft gegen das verkrustete Frauenbild, besonders als sie einen jüngeren Mann kennen lernt. Die Freundinnen versuchen ihr diese "Affäre" auszureden, denn das gäbe ja Gerede. Ob sie das wirklich wolle. Und Erika hadert, lang und oft. Doch auf die Liebe muss man sich manchmal einfach einlassen. Ich mochte die Charaktere sehr, selbst wenn viele und vieles eher undurchsichtig blieb und auch besonders bei Ricardo oft nicht zu spüren war, ob er denn nun echte Gefühle für Karina hegt oder nicht. Es gibt hier keine Herzkribbelmomente, sondern die Liebe kommt eher schleichend und unterschwellig, was sicher gut zu der Zeit passt, in der der Roman spielt. Frauen wurde es von Haus aus schwerer gemacht als Männern und Männer hatten oft mit den Erlebnissen zu kämpfen, die sie im Krieg sehen und erleben mussten. Es war sicher keine einfache Zeit, für niemanden, auch wenn sich das Land 1957 langsam wieder im Aufschwung befand. Die Geschichte hatte im Gesamten ihre schönen, guten und unterhaltsamen Momente, besonders die entstehenden Freundschaften mochte ich sehr, andererseits war sie aber an vielen Stellen doch viel zu seicht und es gibt einiges an Drama, dass man sicher hätte abkürzen können. Das Ende kam überraschend plötzlich und war für meinen Geschmack nicht ganz rund. Irgendwie fehlte mir da noch wenigstens ein Epilog, aber das ist wie immer wohl Geschmackssache. Der Schreibstil war leicht und flüssig zu lesen, lediglich die Wortwiederholungen waren etwas nervig, besonders das Wort "gewiss". Ich musste, wann immer es wieder auftauchte, ein Augenrollen schon unterdrücken, weil es einfach ständig vorkam, obwohl es viele Synonyme gibt, die man stattdessen hätte benutzen können. Setting, Zeit und Flair dagegen mochte ich wirklich gerne, weil man doch ein bisschen was über die Nachwehen des Krieges lesen konnte, die jeden einzelnen Charakter auf die ein oder andere Art im Griff haben. Und tatsächlich habe ich zu keiner Zeit, auch nur im Ansatz gemerkt, dass ich hier den dritten Band einer Reihe lese. Mir war nicht einmal bewusst, dass es schon zwei Romane gibt, die sich mit anderen Mitgliedern aus Karinas Familie befassen. Fazit: eine leichte, nicht ganz runde, aber durchaus unterhaltende Lektüre.

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