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Gabriele

Posted on 18.4.2021

Die Geister der Vergangenheit 2018 war Georgien das Gastland der Frankfurter Buchmesse. Das Buch, um das es hier geht, kam bereits 2014 auf den Markt. Seitdem ist das Kaukasusland in unseren Breiten nicht mehr ganz so unbekannt. Trotzdem muss ich gestehen, dass ich bisher wenig über die Geschichte des Landes an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien wusste. Das hat sich nun ein wenig geändert. Nino Haratischwili hat in ihrem Buch nicht nur über 100 Jahre der Familie Jaschi beleuchtet, sondern auch politische Ereignisse mit eingebaut, die das Leben der Menschen unmittelbar berührten. So ist ein rundum gelungenes Werk entstanden, das sich an manchen Stellen so süffig wie frisch gekochte Schokolade las (immerhin besaß die Familie einst eine Schokoladenfabrik und das Rezept für die heiße Schokolade wurde heimlich an nachfolgenden Generationen weitergereicht). Auf anderen Seiten, in denen es um die Grausamkeiten der Machthaber geht, stellten sich der Leserin die Härchen am Arm auf und der Kopf kam mit dem Schütteln nicht mehr nach. Insgesamt lernen wir sechs Generationen der Familie mal mehr, mal weniger ausführlich kennen. Sehr hilfreich ist dabei der Stammbaum auf der Innenseite des Umschlags. So kann man jederzeit nachschauen, wer denn nun nach Moskau geht und wer nach Westeuropa. Die Geschichten überlappen sich, gehen ineinander über, verwachsen miteinander. Auch wenn Niza Jaschi in ihrer Erzählung für ihre Nichte Brilka sieben Familienmitglieder nacheinander besonders heraushebt, lassen sich die Zusammenhänge wegen der Gleichzeitigkeit gar nicht entflechten. Der Schreibstil ist angenehm, so dass ich über diverse Längen großzügig hinwegsehen konnte. Bei genauerem Hinsehen zeigt das passend ausgesuchte Cover Nizas „Überfressensein an Worten“ (Seite 1198). Gut gefallen hat mir die Einbeziehung der politischen Tatsachen. Da werden nicht nur die Unruhen in der Sowjetunion beleuchtet, sondern auch deren Auswirkungen auf Europa (Prager Frühling 1968, Wiedervereinigung Deutschland 1989). Trotz der guten Lesbarkeit bedeutet der Umfang des Buches eine Herausforderung: 1279 Seiten sind viel und das Gewicht des Buches nicht zu verachten. Trotzdem lohnt es sich, diesen Wälzer zur Hand zu nehmen. Gerne gebe ich 4,5 Sterne.

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