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wandanoir

Posted on 17.4.2021

Eichendorff-Nostalgie Im eloquenten Vorwort bekundet Klaus Modick, wie sehr er in Studentenzeiten von Joseph Eichendorff (1788-1847) und insbesondere von dessen „Aus dem Leben eines Taugenichts“ bezaubert war. Einfach Nichtstun, keinen Erwartungen genügen. Ein Träumchen. Diesen Hippieroman kriegt Herr Modick auch auf die Reihe! Gesagt, gedacht, geschrieben: Der moderne Taugenichts steht dem Alten in Nichts nach. Freilich ist sein Jargon lockerer, moderner. Aber um den jungen Herrn Müller, der nach dem Abi seinen Rucksack und seine Klampfe greift und sich auf den Weg in den Süden macht, rankt der Wein genau so wie beim eichendorffschen Taugenichts, das Feld steht goldgelb, die Brünnlein fließen, die Wälder rauschen, das Wirtshaus lockt und da ist immer der Weg. Und das Weib. Alles genau wie beim Original. Logisch. Songs. Und Gedichte. (igitt). Dabei mag ich Gedichte. Aber nicht solche. Der Kommentar: Auch wenn die (leider) flauen Abenteuer des Protagonisten weder einen Hund noch mich hinter einem Ofen hervorlocken können, ist die Imitation von Eichendorffs Taugenichts fast in Vollendung gelungen. Das viele Grün über Seiten hinweg genüßlich ranken zu lassen, muss man erst mal können. Freilich ertappe ich mich bei dem Wunsch, es möge ENDLICH etwas Unerwartetes geschehen. Ein Raubüberfall, eine Krankheit, eine Naturkatastrophe, Tsunami, Vulkanausbruch, Autounfall, Koma, whatsoever, etwas, was den jungen Taugenichts aus dem Märchen reißt und in die Realität holt. Wahrscheinlich in die Realität der Leistungsgesellschaft. Denn dem Taugenichts fällt alles in den Schoß. Obwohl er auf alles pfeift oder sogar gerade, weil er auf alles pfeift. Diese Einstellung wiederum kann man sich allerhöchstens in zartester Jugend leisten. Wie fällt der Faktor ins Gewicht, dass schon der alte Taugenichts an Langeweile kaum zu überbieten war? Dem man seiner spätromantischen Geburt wegen allerdings gnädiger gesonnen war. Damals war der Hippiegedanke auch noch neu. Der neue Taugenichts jedoch hat mich in einen naturverbundenen Schlaf gelesen. Zitat: „Zwischen alten, hohen Bäumen gab es Aussichten auf bewaldete Bergkämme, die sich in blauer Ferne verloren. Direkt unterhalb des Sitzplatzes erstreckte sich ein Garten, der über bröckelnde Terrassen bergab verlief und einen verwilderten Eindruck machte. Buchsbaumbüsche, die früher wohl zu floralen Skulpturen geschnitten worden waren, streckten wie Figuren einer Geisterbahn lange Nasen, struppig hochschießende Haare und verkrüppelte Leiber von sich, so dass man bekifft in der Dämmerung das Gruseln hätte lernen können. In dieser freundlichen Schwermut aus wilden Blüten, Hummelsummen, ungemähten Gras und Lorbeerduft huschten Eidechsen hin und her. Mitten durch den Garten plätscherte ein Bach, schäumte über verwitterte Schalen und Füllhörner geborstener Tritonen talwärts und bildete weiter unten einen kleinen See, der türkis im Morgenlicht lockte.“ Weil man heute nicht mehr so schreibt. Schwärmerische Naturbeschreibungen habe ich das letzte Mal bei Stifter und bei den uralten Russen gelesen und bei Jean-Paul. Und schon damals schliefen mir die Füße dabei ein. Als Hörbuch hätte ich mir „Fahrtwind“ besser munden lassen. Weil mich da lange und nichtssagende Passagen mit Wohlklang beruhigen. Denn Wohlklang, das muss man auch hier Herrn Modick attestieren, bekommt man. Man spürt den Spaß am Schreiben, dem Nachhorchen vergangener Dichter. Aber. Aber. Tempi passati. Und auch der Lobgesang auf den Hippie ist tot, hippieover. Fazit: Erstaunlich, wohin nostalgische Erinnerungen einen Autoren treiben können. Die ellenlangen opulenten und schwärmerischen Naturbeschreibungen aus einer anderen literarischen Epoche stammend sowie eine recht seicht vor sich hin dümpelnde Handlung wird jedoch wenig Freunde finden, me thinks. Kategorie: Belletristik Verlag: Kiepenheuer & Witsch, 2021

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