Maya Rottenmeier
4,5 Sterne Ungeschminkt frei … … das wünsche ich mir, und zwar in allen Winkeln des Lebens. In einer Gesellschaft, in der es zum guten Ton gehört, sich Beschneidungen im Schritt zu unterziehen, um sich einer fragwürdigen Norm anzupassen, sorgt dafür, dass sich bei mir die Nackenhaare aufstellen. Wir sind reizüberflutet, wir sind satt und stehen unter einem Dauerdruck, um wem auch immer zu gefallen. Wo bleiben wir dabei? Ist es nicht das Wichtigste, das wir in erster Linie uns gefallen? Wie können wir uns auf andere zu hundert Prozent einlassen, wenn es uns nicht gelingt, uns so anzunehmen, wie uns die Natur geschaffen hat? Und die Natur ist vielfältig. Nicht jede Frau muss wie ein Schnittbrötchen zwischen den Beinen aussehen. Weshalb ist dieses fragwürdige Schönheitsideal so erstrebenswert? Wichtiger ist doch, wie glücklich wir mit uns selbst sind und wie gut wir uns und unsere Bedürfnisse kennen. Aufklärung mit Monsterlücken: Meine Generation sieht sich als aufgeklärt an, doch wenn ich darüber nachdenke, dann hat Hotz recht: Es war und ist noch immer ein Desaster. In der Schule, wie im Privatbereich. Das Problem damals wie heute, ist, das hauptsächlich der Fokus auf der Fortpflanzung und dessen Verhütung beruht und nicht im Erforschen der Lust. Schon gar nicht in der Weiblichen. Da es nicht arterhaltend ist, ob eine Frau kommt oder nicht, beim Mann aber schon, ist es seit Jahrhunderten die Regel, den weiblichen Höhepunkt in den Medizinbüchern zu vernachlässigen. Oder ihn einem Teil des Organs zuzuschreiben, der kaum in der Lage dazu ist, einen zu bekommen. Was Worte bewirken: Alleine unsere Sprache demonstriert die Macht, die unsere Gesellschaft auf das feminine Geschlecht ausübt. Da bleibt glatt die Hälfte des weiblichen Genitals in Sachbüchern und umgangssprachlich unbenannt und damit unterdrückt und in die Vergessenheit verbannt. Dafür, dass wir alle so aufgeklärt sind, ist es erschreckend, wie wenig einige Frauen über das Zentrum zwischen ihren Beinen wissen. Von den Männern ganz zu schweigen. Auf Augenhöhe: Hotz schreibt ungeschminkt, sachlich, an einigen Stellen pointiert und bringt mich immer wieder dazu, nachdenklich zu nicken. Völlig verblüfft erfahre ich, dass wir Frauen eine Prostata haben, die logischerweise jede Menge zum Spaß beitragen kann. Weshalb wusste ich das vorher nicht? Und ich erfahre so viel mehr. Meine Kritik: Ein größeres Buchformat und ein aufgelockerter Buchsatz würden das Lesevergnügen deutlich erhöhen. Das Kleingedruckte am Ende des Buches für den männlichen Leser ist leider zu winzig gedruckt und erschwert mir das Lesen. Dieser Text ist zu wertvoll, um unterzugehen. Mein Fazit: Bisher habe ich mich immer für aufgeklärt gehalten, doch seit dem Buch „Lustbewusst – gute Frauen kommen in den Himmel, sich selbst liebende Frauen kommen“, lerne ich alle paar Seiten etwas dazu. Hotz schreibt: „Wer verstehen will, muss durchdringen. Und wer mehr fühlen will, dem hilft es zuweilen, mehr zu sehen.“ Schamhaftigkeit und Tabuisierungen prägen unsere Gesellschaft nach wie vor. Was bedeutet Intimität? Und was, die ultimative Verschmelzung zweier Menschen? Achtsamkeit ist essentiell dabei. Ebenso zu lernen nein zu sagen, lernen ja zu sagen, lernen mitzuteilen, was Frau gefällt. Das alles klingt so leicht und doch bleibt genau das für viele als unüberwindbare Mauern bestehen, die von klein auf in ihnen hochgezogen wurden. Jede Frau braucht eine gesunde Balance zwischen Scham und Offenheit. Sie muss ihren Weg finden, in all den Grenzen die uns umgeben und sich die Freiheiten schenken, die nötig sind, um ein glückliches Leben zu führen, das von einer tiefen Befriedigung erfüllt ist. Und all dies kann nur gelingen, wenn sich eine Frau in- und auswendig kennt und genau weiß, was bei ihr funktioniert und Spaß bringt. Und das setzt jede Menge Wissen voraus, das in vielen „modernen Büchern“ glattweg nicht zu finden ist. „Lustbewusst“ ist ein wertvolles Sachbuch, das dem Leser hilfreich zur Seite steht und zu jeder Zeit mit ihm Klartext auf Augenhöhe spricht. Dieses Buch sollte in keinem schulischen Aufklärungsunterricht fehlen. Von mir erhält „Lustbewusst“ 4,5 kostbare Sterne von 5 und eine absolute Leseempfehlung. Wo keine halben Sterne möglich sind, runde ich auf.