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daslesendesatzzeichen

Posted on 16.4.2021

Marwand ist 12 Jahre alt und lebt mit seiner Familie in Amerika, doch seine Wurzeln liegen in Afghanistan. Für einen langen Sommer kehren seine Eltern mit ihm und seinen Geschwistern 2005 zurück in die alte Heimat. Aber ist es das noch? Heimat? Marwand hat sprachliche Schwierigkeiten, er spricht besser Englisch als Paschto, sein Farsi ist, so sagt er selbst „scheiße“ und so ist es oft ein Kuddelmuddel aus sämtlichen Sprachen plus Mimik und Gestik, was er und seine afghanische Familie braucht, um sich zu verständigen. Aber auch dann versteht der Junge nicht immer alles. Dieses Gefühl, nicht wirklich durchzusteigen, was passiert, konnte ich gut nachvollziehen, verließ es mich doch das ganze Buch über nicht. Dabei sind es schöne, atmosphärische Geschichten, die der Autor Jamil Jan Kochai erzählt, doch das überbordende „Gewusel“ in seinem Roman, die vielen Familienmitglieder mit arabischen Bezeichnungen, die allesamt für die ahnungslose Laienleserin ähnlich klingen, waren für mich Grund genug, nicht mehr mitzukommen und so war ich ständig nur am Vor- und Zurückblättern, beim Versuch, den (sprachlichen) Überblick zu wahren. Mein Ziel war es, meine Komfortzone bezüglich meiner Lektüreauswahl ein bisschen zu erweitern, mal deutlich etwas anderes zu lesen, als die sich doch oft ähnelnden Themen der westlich geprägten Welt, doch mit dem vorliegenden Roman „99 Nächte in Logar“ werde und wurde ich nicht warm. Da werden Familienfeiern, leckere Gerichte, religiöse Traditionen beschrieben. Wunderschön und spannend. Und auch das ewige Thema der Freundschaft wird aufgegriffen und vor allem ein Motiv zieht sich wie ein roter Faden durchs Buch: die Verfolgung des Hundes Budabasch, der Marwand gleich zu Beginn des Urlaubs die Spitze seines Fingers abbeißt. Ab da ist er Marwands erklärtes Feindbild, er will sich rächen. Die Versuche, den Hund umzubringen bzw. ihm eine Lektion zu erteilen, sind drastisch, lesen sich aber lustig: „Wenigstens drei Stunden jeden Tag, drei Tage hintereinander, decken ich und Gwora ihn [Budabasch] mit [unreifen] Äpfeln und faulen Eiern ein, mit Brot, das wir mit Dreck und Scheiße gefüllt hatten, oder auch mit Scherben, warteten und sahen zu. Budabasch fraß fast alles, was ihm vor die Schnauze kam. Er roch daran, guckte uns an und schlang es herunter. Machte sich über uns lustig, und nach einer Weile verging uns der Spaß. Die alte Sau hatte einen Magen aus Stahl. Wir haben ihn weder kotzen noch Blut scheißen sehen. Kein einziges Mal. Drei Tage am Stück haben wir ihn stundenlang aus den Bäumen beobachtet, und nichts.“ Näher traut sich Marwand nämlich nicht mehr an das „Ungeheuer“ heran, hat er doch berechtigte Angst davor, dass auch die restlichen neun Finger noch in Mitleidenschaft gezogen werden könnten durch den Hund. Das klingt nach unbeschwertem Abenteuerurlaub, doch natürlich ist es das nicht. Denn in diesem Roman werden ebenso die negativen Seiten, die auch Marwand erlebt und an die wir als Europäer vielleicht als erstes denken, wenn wir Afghanistan hören, beschrieben: die Auswirkungen des Krieges und die Herrschaft der Taliban. Doch in Summe hat sich bei mir nicht das Gefühl eingestellt, einen Roman zu lesen. Eine Handlung konnte ich nicht wirklich erkennen. Der Roman verspricht viel („Selection Ausgezeichnet, Ungewöhnlich, Erstklassig“) und kann all das nicht halten. In den USA stand das Buch auf der Shortlist des „PEN/Hemingway Award“ für das beste Debüt – wie es dort hin kam, kann ich mir nicht erklären, da es mich nur verwirrt und nicht überzeugt hat. Gerne hätte ich anderes berichtet. „99 Nächte in Logar“ von Jamil Jan Kochai ist im Januar 2021 bei btb als Klappenbroschur erschienen. Mehr Informationen zu Buch und Verlag durch einen Klick auf das Cover oder den Verlagsnamen.

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