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Esther Middeler

Posted on 12.4.2021

Schon lange wollte ich diesen Klassiker einmal lesen und habe mir daher spontan die neue Ausgabe mit schönem Cover gekauft. Diese Ausgabe enthält den Bericht, der schon im Untertitel steckt, „Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“, und das Theaterstück „Synchronisation in Birkenwald“. Außerdem ein einführendes Vorwort von Hans Weigel, das Lesern wie mir, die erstmals ein Werk von Frankl lesen, etwas Hintergrundinformationen gibt. Das Buch ist zurecht ein Bestseller, so viel sei schon mal gesagt. Ich habe bereits viele Lebensberichte aus der NS-Zeit gelesen, die meisten davon von KZ-Überlebenden, und kannte daher einiges, von dem Frankl im ersten Teil erzählt. Doch die Art der Schilderung ist einmalig und äußerst bemerkenswert. Er analysiert das Leben im Konzentrationslager tatsächlich wie ein Psychologe, systematisch und aus der Beobachterperspektive. Und doch bleibt er dabei nicht distanziert, sondern vermittelt immer wieder, dass er ein Teil davon war und erzählt, wie es sich für ihn anfühlte. Durch diese Perspektive wird das Grauen nicht weniger, aber doch ein Stück weit nachvollziehbarer. Frankl gliedert seinen Bericht in drei Teile: Aufnahme ins Lager, Lagerleben und das Leben nach der Befreiung. Er schreibt über so unterschiedliche Dinge wie Apathie, Hunger, die Flucht nach innen, Kunst im KZ, Lagerhumor, Sehnsucht nach Einsamkeit, Fluchtpläne. Am zentralsten und wichtigsten sind wohl seine Ausführungen über die „innere Freiheit“, die ihm ermöglicht hat, das KZ als Mensch ohne Verbitterung und Rachedurst zu verlassen. Da es letztlich um die Frage nach dem Sinn von Leiden geht, hat dieser Bericht auch heutigen Lesern noch viel zu sagen. Ich musste beim Lesen immer wieder Pausen machen, um das Gelesene wirken zu lassen und darüber nachzudenken. An manchen Stellen hätte ich mir gewünscht, dass Frankl noch ausführlicher gewesen wäre. So erfährt man sehr wenig über sein Leben vor und nach dem KZ, und auch wenig über seine später entwickelte Logotherapie. Das hatte ich mir bei diesem Standardwerk anders vorgestellt. Der zweite Abschnitt, das Theaterstück, ist im Prinzip eine Veranschaulichung von Frankls Thesen und Erfahrungen, die er im ersten Teil schildert. Drei bekannte Philosophen beobachten aus einer Art Himmel heraus das Leben einiger Häftlinge im KZ und erklären, was dort im transzendenten Sinne geschieht. Für mich hat es mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Unterm Strich kann ich „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ dennoch sehr empfehlen, da der Autor sich auf eindrückliche und einmalige Weise mit erlebtem Leid und der Frage nach dem Sinn dahinter auseinandersetzt.

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