daslesendesatzzeichen
Vorweg – ich bin einer der größten Martin-Suter-Fans auf diesem Planeten. Das muss ich dieser Rezension voransetzen, damit man besser einordnen kann, was folgt. Ich war von Anfang an skeptisch, da ich mir die protokollierten Gespräche zwischen Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre nicht so recht vorstellen konnte. Außerdem fremdle ich etwas mit Herrn Stuckrad-Barre, der zwar ein heller Kopf mit großem, schriftstellerischem Talent ist, der mir aber nicht besonders liegt. Und ich gebe zu, völlig unprofessionell, ich wundere mich auch extrem, wie es zu dieser Freundschaft kommen konnte zwischen diesen so unterschiedlichen Herren. Aber wahrscheinlich ist es genau dieser konträre Aspekt, der die beiden für einander spannend macht. Für mein Empfinden ist das Projekt „Suter und Stuckrad-Barre quasseln miteinander und jeder darf es lesen“ jedoch gehörig in die Hose gegangen. „Alle sind so ernst geworden“ heißt der Titel der versammelten Gespräche. Die meisten davon sind zuerst als Podcast auf martin-suter.com erschienen (zu finden sind sie leider nicht mehr), für das Buch wurden sie transkribiert und anschließend von den Autoren überarbeitet. Und das ist auch schon die ganze Tragik: Wie gut kann ich mir vorstellen, dass die Podcasts vom spontanen Wortwitz der beiden intellektuellen Köpfe lebten, vom bedächtigen, von schweizerdeutscher Klangfarbe durchzogenen, Hochdeutsch des Martin Suters, vom Kontrast eben dieser Langsamkeit zu Herrn Stuckrad-Barres Hochgeschwindigkeitssprechen – doch all das bleibt beim „Podcast zum Nachlesen“, wie es irgendein Rezensent so treffen nannte, auf der Strecke. Und so widerstrebt mir schon der Einstiegstext „Badehosen„, in dem ich mir viel zu viele Details über die Vorlieben der beiden bei der Wahl ihrer Schwimmbekleidung „anhören“ muss, wo Bilder in meinem Kopf von Herrn Suter entstehen, die ich nicht mit dem charismatischen Gentleman in Anzug mit Einstecktuch in Einklang bringen will. Gerade den Gentleman in Perfektion möchte ich mir gar nicht in Badehosen, egal welcher Couleur oder welchen Schnittes, vorstellen – er gehört für mich in den Anzug. Basta! Weitere spannende Themen wie „Äähm“ (über Füllwörter und ähnlich schlimme Sprechkatastrophen), „Ibiza“ (Ja, wie spricht man es denn nun aus?) oder „Glitzer“ (tolle Bastel- und Einkaufstipps von Martin Suter) folgen. Soll ich ehrlich sein? Bei S. 115, mitten im Kapitel „Ibiza“ verließ mich derart die Lust und es gab so viele gute Bücher, die sich mir parallel aufdrängten und gelesen werden wollten, dass ich aufhörte. Das ist nun schon eine Weile her, fehlen tut mir nichts. Keine Sehnsucht, keine Wehmut, dass ich die zweite Hälfte nicht kennengelernt habe. Stellenweise blitzte Komik und sprachliche Brillanz durch, keine Frage, denn die beiden sind ja Profis, doch dieses Büchlein ist derart banal, dass mir schleierhaft ist, wie all die Prominenten dazu gebracht wurden, überschäumende Aussagen darüber zu treffen – „Wenn ich zukünftig bekümmert oder ratlos bin, werde ich Kapitel dieses Buches lesen, um laut zu lachen und an diesen funkelnden und eloquenten Gesprächen teilzunehmen.“ (Katja Riemann auf der U4). Nein, liebe Frau Riemann! Wenn Sie Aufbauendes brauchen, greifen Sie lieber zu Rilke … Mich hat vor allem der Sprachduktus von Herrn Stuckrad-Barre geärgert, der in 70% der Fälle Herrn Suter rüde ins Wort fiel, ihn ständig unterbrach, Gedankengänge von Suter in seinem (Stuckrad-Barres!) Sinne weiterführte und ihn schlichtweg in Grund und Boden redete. Das war sprachliche Unhöflichkeit in Schriftform, was mir zunehmend unerträglich wurde – denn ich liebe Herrn Suters bedächtige, wohlüberlegte Art zu reden, gerade, wenn er Hochdeutsch spricht, worüber er selbst einmal sagte, dass er dann immer langsamer als normal rede, da er beim Hochdeutschsprechen immer im Geiste aus dem Schweizerdeutschen ins Hochdeutsche übersetze – und daher etwas Zeitverzögerung entstehe. Eine charmante Erklärung, die perfekt zu ihm passt. Ein klares Nein also zu diesem Buch, was mich traurig macht, denn ich hätte so gerne viel wohlwollender darüber geschrieben. Wer etwas wirklich Überragendes von Martin Suter lesen möchte, der greife zu einem seiner Romane, wie zum Beispiel „Der Koch“ oder „Die dunkle Seite des Mondes„.