daslesendesatzzeichen
Nicht umsonst sagt man, Bücher seien wie Medizin. Das richtige Buch zur richtigen Zeit kann Denkblockaden lösen, Anstöße geben, einen in die richtige Richtung weisen. Das Autorenduo Francesc Miralles und Ángeles Doñate hat mit dem vorliegenden Band „Jenseits des Abrunds – Roman über den Sinn des Lebens“ einen kleinen Seelentröster geschrieben. Die Hauptfigur im Zentrum des Romans ist Toni, Inhaber einer erfolgreichen Werbeagentur, dessen Bruder Jonathan bei einem Autounfall ums Leben kam. Nun ist es an ihm, den letzten Wunsch des Bruders zu erfüllen: Seine Asche soll am Mount Moran verstreut werden. Um diesen Wunsch zu erfüllen, muss Toni sich freinehmen, etwas, was er nie tut, er muss delegieren, anderen die Verantwortung übertragen. Ihn wirft der Tod seines Bruders, mit dem er viele Jahre sehr eng war – jedoch leider in den letzten Jahren nicht mehr viel Kontakt hatte, sehr aus der Bahn. Und sich aus seiner beruflichen Komfortzone zu bewegen noch viel mehr. Er macht sich im Auto auf den Weg, den Bruder in eingeäscherter Form an Bord, und wie so oft, ist bereits der Weg das Ziel. Denn Toni lernt, dass er, der für sich in Anspruch nahm, glücklich oder zumindest erfolgreich durchs Leben zu gehen, eigentlich nur an der Oberfläche des Dasein gekratzt hat, oft mauerte und niemanden, einschließlich seines Bruders, in den letzten Jahren wirklich an sich heranließ. Er trifft unterwegs auf Menschen, die ihm den Weg weisen und er landet plötzlich, auch aus journalistischer Neugier, bei Kosei-San, einem alten Japaner, der in den kalifornischen Bergen einen Felsen in schwindelerregender Höhe bewacht. Er passt auf, dass Menschen in ihren dunkelsten Stunden dort oben keinen folgenschweren Fehler begehen und sich hinunterstürzen. Dafür bedient er sich einer so einfachen wie genialen Methode: Er bittet sie um ein wenig ihrer Zeit, lädt sie ein in seine schlichte Hütte auf einen Gunpowder-Tee. Und dann macht er das, was diesen Trauernden meist gefehlt hat: Er hört ihnen aufrichtig und ehrlich zu. Viele Menschen hat er so vor einem Sturz in die Tiefe bewahrt, hat ihnen das Licht des Lebens gezeigt, ihnen positive Gedanken in ihre traurige Welt gepflanzt – und auch Toni merkt, wie gut ihm das Gespräch mit dem alten Herrn tut, wie ruhig er wird, wie er plötzlich seine Gedanken nach innen und zu den wirklich wichtigen Dingen des Lebens wenden kann. Und so lernt er nicht nur die Geschichten all der Menschen kennen, die Kosei-San gerettet hat, sondern auch Möglichkeiten, selbst glücklicher zu werden. Als er dann auf die schöne, aber geheimnisvolle Esmeralda trifft, scheint es an ihm, nun auch weiterzuhelfen. Dieser Roman vollbringt das kleine Kunststück, die Leser:in am Ende mit einem Lächeln auf den Lippen und einem positiven Blick auf die Welt zurückzulassen. Es handelt sich nicht um ein literarisches Meisterwerk, hier zählt weniger die Form als viel mehr der Inhalt. Eine gut erzählte Geschichte, schnörkellos und manchmal ein wenig sehr nach Schema F bearbeitet – aber das Ziel wird erfüllt: Man bekommt ein paar positive Stunden geschenkt – und das ist das, was man sich derzeit doch am meisten wünscht!