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sabinescholl

Posted on 12.4.2021

Überraschungen sind möglich. Da lagen „Die dunklen Jahre“ von Friederike Manner wochenlang auf meinem Stapel. Schließlich wollte ich das Buch nicht wegräumen, ohne zumindest ein paar Seiten überflogen zu haben. Und hörte dann nicht mehr auf zu lesen. Manners Roman wurde dank der Bemühungen der Literaturwissenschaftlerin Evelyne Polt-Heinzl in der Wiener Edition Atelier nach Jahrzehnten wiederaufgelegt. Zum Glück, denn diese autobiographisch gefärbten Schilderungen der bedrohlichen Jahre vor, während und kurz nach dem 2. Weltkrieg sind lebendig, klug und emotional ergreifend. Die bemerkenswerte Heldin Klara, eine Wiener Intellektuelle, ist mit dem jüdischen Arzt Ernst verheiratet. Sie haben zwei Kinder, die im Zuge der Nürnberger Gesetze als Mischlinge gelten und damit gefährdet sind. Eigentlich wollte Klara sich längst scheiden lassen, nun aber, da die Stimmung endgültig umgeschlagen hat, fühlt sie sich für die Familie verantwortlich. „Die Heimat ist keine Heimat mehr. Selbst die Landschaft ist verändert. Zwar prangt der Frühling wie schon lange nicht – wahres Hitlerwetter – aber wir sehen nichts davon.“ Gegenseitige Denunziationen werden Alltag, sogar wenn es um Kleinigkeiten geht. „Ich bring dich nach Dachau“, wird gedroht, wenn einer etwas haben will, das der Nachbar besitzt. Von Walter, einem spöttischen Berliner, erfährt Klara, wie der Machtwechsel in der Hauptstadt ablief. Hunderte warfen sich aus den Fenstern der Untersuchungsgefängnisse, Tausende wurden zu Tode gequält. Trotz anfänglicher Distanziertheit und gefährlichen Umständen entspinnt sich eine Liebesgeschichte zwischen den beiden: Verfolgung, Verhaftung und damit Trennung drohen jederzeit. Doch sobald Klara ihren Geliebten auf Wienerisch Herzerl nennt, schmilzt seine Bosheit umgehend. Schließlich fliehen sie nach Belgrad und begeben sich sogar einige Zeit aufs Land, weil die Versorgungslage dort etwas besser ist. Unter den Geflüchteten sind die Vereinigten Staaten Hauptgesprächsthema, genauso die Suche nach Affadavits und Schiffspassagen. Trotz Entbehrungen und Hunger, dem nur Schwarzmarktgeschäfte abhelfen können, gelingt es den Geflohenen immer wieder hilfsbereite und freundliche Menschen zu finden. Manner schildert die Notwendigkeiten des schwierigen täglichen Überlebens in allen Einzelheiten, verbindet dies mit politischen Einschätzungen und selbstreflexiven Passagen, in denen sie ihre Verzweiflung, ihre Erschöpfung beschreibt, die ständige Gefahr der Korrumpierbarkeit erwähnt. Zeitweise führt die Familie sogar ein halbwegs geregeltes Leben, die Kinder besuchen die Deutsche Schule, helfen bei der Nahrungsbeschaffung, Klara bringt alle mit Bürojobs durch, sie unternehmen Spaziergänge, befreunden sich mit Einheimischen und beginnen Belgrad wegen der Nähe zur Natur zu lieben. „Noch nie habe ich eine Stadt so geliebt wie diese. Wien war zu groß und Zürich war zu nobel (…) Belgrad aber ist alles, ist Traum und Wirklichkeit, Nähe und Ferne.“ Klara hält sich nur aufrecht wegen und für die Kinder. Verdrängt alle Gefühle, gibt sich der Notwendigkeit, wirft sich selbst weg. Sie muss die Kinder schützen, weil sie als Mischlinge gefährdet sind. Sie streiten oft, das schmerzt, aber dann ist Klara sogar über diesen Schmerz froh, weil es zumindest irgendein Gefühl ist, das sie noch zu spüren vermag. „Dass ich einst vielfältig war, in vielen Welten lebte und viele einander widersprechenden Gesichtspunkte hatte, dass ich litt und vollkommen werden wollte, habe ich fast vergessen.“ Emotionen leistet sich Klara nach dem spurlosen Verschwinden Walters und Ernsts - wahrscheinlich sind sie in Lagern umgekommen -, nur mehr, wenn es um die Katzen geht, die in die Familie aufgenommen und dort liebevoll versorgt werden. Enttäuschend ist dann die Rückkehr. Trotz Krieg scheint es den Wienern besser zu gehen, kommt Klara vor. Es hat sich ausgezahlt, andere zu bestehlen, schließt sie daraus. Die Niedertracht ist gleichgeblieben. Solidarität aus politischen Gründen gibt es keine mehr. Friederike Manners Roman wurde 1948 erstmals veröffentlicht. Doch gelang es der Autorin nicht, an den vor allem von Verleugnung der nationalsozialistischen Verbrechen geprägten Literaturbetrieb anzuschließen. Sie verbitterte. Die Kinder hatte sie durch den Krieg gebracht. Ihr blieb nur Selbstmord. „Die dunklen Jahre“ ist das unvergleichliche Zeugnis einer unbeugsamen Intellektuellen in lebensbedrohlichen Zeiten, einer alleinerziehenden Mutter, einer spannenden Autorin und noch einiges mehr.

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