Nachtblume
Über das Buch bin ich zufällig in der Onleihe gestolpert und eigentlich wollte ich gar keine Rezension dazu schreiben. Ein kurzer Briefroman. Was soll ich dazu schon großartig sagen? Allerdings merkte ich schnell, dass die Briefe von Martin und Max mich bewegen und meinen Kopf mit Gedanken füllen. Kressmann Taylor schafft es mit wenig Worten so viele Gefühle in mir auszulösen. Während der Briefwechsel recht locker startet, merkt man sehr schnell Veränderungen im Ton der Beiden. Max zeigt sich schon im ersten Brief leicht besorgt und ich als Leser kenne die Geschichte ja bereits. Ich weiß, dass seine Sorge berechtigt ist. Und ich hoffte. Hoffte, dass Martin ihn beruhigen kann und ihre Freundschaft bestehen bleibt. Aber Martin schreibt selbst "Überwundene Verzweiflung treibt die Menschen oftmals in törichte Richtungen." und auch so erfahren wir Leser schneller als uns lieb ist, dass auch Martin törichte Richtungen eingeschlagen hat. Schnell wird klar, dass er sich den Nationalsozialisten angeschlossen hat. Dass er Hitler unterstützt und nicht mehr hinterfragt, obwohl auch er zuvor Zweifel geäußert hat. Dass er seine Stellung rechtfertigt, in dem er meint "Vierzehn Jahre lang haben wir unseren Kopf unter der Schmach der Niederlage gebeugt." Mit "Wir" sind natürlich die Deutschen gemeint. Und genau da liegt der Punkt, denn Martin hat in den USA gelebt und seinen Kopf überhaupt keiner Schmach gebeugt. Von Brief zu Brief wurde die Spannung größer und greifbarer. Wut, Enttäuschung, leise Trauer und Resignation sind aus den Briefen zu lesen. Man hört förmlich, wie spottend Martin über Max spricht und ich war wirklich schockiert, welche Worte er seinem alten und doch guten Freund schreibt. Der Höhepunkt des Briefwechsels kommt schnell und ich war wirklich getroffen. Das Buch redet nichts schön und zeigt eine Geschichte auf, die so tatsächlich hätte passieren können. Die vielleicht auch so stattfand? Wer weiß das schon. Wie viele Freundschaften aufgrund der damaligen Politik zerbrochen sind, weil Menschen wie Martin sich einlullen und mitreißen lassen. Ich war so bestürzt von seiner unglaublichen Abgebrühtheit, dass ich nicht glauben konnte, dass wirklich Martin diese Worte schrieb. Seine Wendung zum Ende hin konnte ich dann nur mit ähnlichem Spott verfolgen, den er zuvor Max entgegenbrachte. Das Nachwort von Elke Heidenreich ist wirklich grandios und sie trifft mit ihren Worten mitten ins Schwarze, denn sie fasst genau das zusammen, was auch ich beim Lesen dachte. Ich kann mich ihr nur anschließen, wenn sie sagt, dass "Adressat unbekannt" unbedingt überall Pflichtlektüre werden sollte, denn so gerne ich die Zeit des Zweiten Weltkrieges im Unterricht auch behandelt hätte, noch interessanter wäre es mit dieser Lektüre geworden, denn trotz ihrer Kürze bewegt sie und drückt unheimlich viel aus.