mrstrikehardt
Was für ein Romantitel - präzise treffend und gleichzeitig poetisch. Außer-sich-sein ist Programm und zwar in vielerlei Hinsicht. Zunächst als bloße Feststellung, die Protagonisten - und hierzu zähle ich sowohl die Kinder Anton & Alissa, als auch deren Eltern, Großeltern und Urgroßeltern - stehen außerhalb ihrer selbst. Sie werden vor allem durch die geschichtlichen Brüche zur Aufgabe ihrer Selbst gezwungen, aber auch aus eigenen Antrieb in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Hinzukommt die scheinbar ohnmächtige Wut angesichts der erdrückenden gesellschaftlichen Anfeindungen. Dazu gehören Antisemitismus in der Sowjetunion sowie Rassismus gegenüber Geflüchteten in Deutschland der 90 Jahre. Das führt auch dazu und hierin liegt die große Tragik, dass die Verständigung und das Verständnis innerhalb der Familie schwieriger wird, gar verschwindet. Denn ein Zurückkehren ist unmöglich, wer es versucht, findet nichts mehr so vor, wie es war und wird seinerseits des Verrats bezichtigt. Zwar gibt es eine gewisse Chronologie, doch letztendlich erzählt Salzmann die Geschichte aus vielen kleinen Geschichten und springt in den Zeiten (Das Heute umfasst ein ganzes Jahrhundert). Persönlich haben mich am meisten die Werdegänge der Groß- und Urgroßeltern fasziniert. Trotz aller Härte und Entbehrungen steckt in diesen Kapiteln viel Wärme. Diese Wärme fehlt größtenteils bei den Schilderungen von Anton & Alissa, die als Kinder unzertrennlich waren und sich dann abhandenkommen ohne Wiedersehen. Sie reisen/ flüchten nacheinander nach Istanbul und verlieren sich in dort. Die durch Destruktion behauptete und durch Testosteron initiierte Selbstermächtigung fand ich stellenweise überspannt (allerdings nachvollziehbar) - insbesondere Antons Verhalten seiner großen Liebe Aglaja gegenüber. Ein kleiner Wermutstropfen. Insgesamt ein wunderbares Buch.