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patricianossol

Posted on 5.4.2021

Die Romane von Delphine de Vigan sind intensiv. Man liest sie nicht, man fühlt und erlebt sie. Das macht diese französische Schriftstellerin für mich einzigartig. Mathilda ist eine selbstbewusste Frau. Nach dem Tod ihres Mannes zieht sie ihre drei Söhne allein auf. Dabei gelingt ihr der Spagat zwischen Familie und Beruf. Mathilda liebt ihren Job als Stellvertreterin des Marktleiters eines großen Lebensmittelkonzerns. Doch als sie eines Tages ihren Chef kritisiert, kommt es zum Bruch. Er stellt sie aufs Abstellgleis und nimmt ihr jegliche Kompetenzen. Mathilda kämpft verzweifelt darum, die Differenzen aus dem Weg zu räumen. Sie wendet sich sogar an eine Wahrsagerin, die ihr prophezeit, dass am 20. Mai ein Ereignis Mathildas Leben verändern könnte. Es ist bewundernswert, wie Mathilda sich jeden Tag auf‘s Neue den Schikanen ihres Chefs aussetzt und dabei ihre Wut herunterschluckt und weiterhin versucht, den Weg der Deeskalation zu beschreiten. Doch ihr Gegenüber sonnt sich in seiner Machposition und ist keinesfalls bereit sein Opfer freizugeben. Die Attacken werden immer heftiger. Dann keimt Hoffnung auf. Der 20. Mai bricht an. In einem zweiten Erzählstrang lerne ich Thibault kennen, der als Notfallmediziner von einem Patienten zum nächsten hastet. Gerade hat er sich von seiner Freundin Lila getrennt, obwohl die beiden sexuell perfekt harmonieren. Thibault liebt stark, aber Lila kann diese tiefen Gefühle nicht erwidern. Er hofft dennoch, dass sie sich wieder bei ihm meldet. Wie passt dieser Thibault in Mathildas Leben? Kann er eine Veränderung herbeiführen? Delphine de Vigan erzählt einfühlsam und bewegend. In ihrer Geschichte bringt sie gesellschaftskritische Aspekte unter und erörtert durchdringend das Thema „Mobbing am Arbeitsplatz“. Ich habe beim Lesen das Gefühl, Teil der Story zu sein und frage mich, wie lange Mathilda diese Strapazen aushalten kann, ohne dabei zugrunde zu gehen. Anderseits berührt mich auch die Nebenhandlung um Thibaults Alltag und seine unerfüllte Liebe. Ich fliege durch die Seiten und fiebere der Begegnung der beiden Akteure entgegen. Bevor ich mich jedoch allzu tief in Mutmaßungen verstricke, beendet die Autorin abrupt ihre Geschichte. Mit diesem Ende habe ich nicht gerechnet. Meine grauen Zellen schlagen Purzelbäume. Ich versuche das Gelesene zu verarbeiten. Nachdenklich bleibe ich zurück und denke bewusst über die Frage nach, wie verwundbar ich selbst bin. Genial gemacht! Hier wird die Leserschaft mit knallharten Realitäten konfrontiert. Das Ende ist nicht ungewöhnlich und bedarf einer reflektierenden Auseinandersetzung mit dem Thema. Dennoch sind es für mich unvergessliche Leseerlebnisse, die lange in Erinnerung bleiben. Dephine de Vigan ist eine herausragende Schriftstellerin. Ihre Bücher verschenke ich gern an liebe Freunde.

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