Profilbild von wandanoir

wandanoir

Posted on 5.4.2021

Von Ausbeutung und Ausgrenzung Im Vorwort der Anthologie „Kampf und Klasse“ wird gesagt „Der Kapitalismus ist eine Modernisierungsmaschine, die den absoluten Wohlstand mehrt, aber ihre Güter systematisch ungleich verteilt“. Darum geht’s also, sagt man sich und fängt frohgemut an zu lesen. Na ja, nicht ganz, merkt man früh und blättert in das Vorwort zurück. Dort findet man andere erhellende Zitate, die erklären, warum man textlich nicht nur den reinen Klassenkampf bekommt. „…. ist es angesagt, über Themen wie Race und Gender zu sprechen; das weniger coole Thema ist Klasse“ (Bell Hooks) und „Die Kategorien Race, Gender und Class sind eng miteinander verbunden.“ Aha. Jeder der vierzehn Autoren und Autorinnen schreibt über seine Sache, die entweder mit Gender, Race oder mit Class zu tun hat. Ja, man muss Vorworte auch lesen, damit man keine falschen Erwartungen hat! Die vierzehn Autoren Arno Frank, Lucy Fricke, Christian Baron, Francis Seeck, Pinar Karabulut, Anke Stelling, Sharon Dodua Otoo, Bov Bjerg, Katja Oskamp, Martin Becker, Oliva Wenzel, Clemens Meyer, Schorsch Kamerun und Kübra Gümüşay, in der Reihenfolge wie die Stories auftreten, haben mich ganz unterschiedlich angesprochen. Es gab nur wenige Kurzgeschichten, die mir richtig unter die Haut gingen, und das waren diejenigen, die sich einwandfrei mit dem Thema Klasse beschäftigten. Ob man davon erzählt, wie man sich auf dem Bau krumm und kaputt schuftet oder darum, Nachteile in Kauf nehmen zu müssen, weil man das Studium nur mit Hilfe von Nebenjobs finanziert bekommt, ob Kinder im Kinderheim nicht genug Fürsorge bekommen, nicht genug Geld da ist, den Vater anständig zu begraben, darum auf dem Amt rumgeschubst zu werden oder in anderer Weise eher eine zu verwaltende Nummer zu sein als ein Schicksal, etc. – immer geht es um Unterschiede, die allein deshalb gemacht werden, weil jemand nicht genug Geld hat, um mitzuhalten. Man ist abgeschrieben. Selbst wenn man es „geschafft“ hat und finanziell aufgestiegen ist, riecht man nicht richtig, redet nicht richtig, kennt die gesellschaftlichen Codes nicht. Sind nicht die richtigen Bilder an der Wand, treibt man nicht den richtigen Sport, isst falsche Dinge und trägt nicht die richtigen Klamotten. Immer geht es darum, nicht dazuzugehören. Zu den Gewinnern. Es geht darum, dass du ein Verlierer bist. Und dass du einer bleiben sollst. Und das treibt mir die Tränen in die Augen. „Die aber unten sind, werden unten gehalten Damit die oben sind, oben bleiben Und der Oberen Niedrigkeit ist ohne Maß Und auch wenn sie besser werden, so hülfe es doch nichts, denn ohnegleichen ist Das System, das sie gemacht haben Ausbeutung und Unordnung, tierisch und also unverständlich.“ Solches schreibt Bert Brecht in der Heiligen Johanna der Schlachthöfe. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Doch weil wir hier nicht Brecht, sondern die vorgestellte Anthologie rezensieren, ein letztes Zitat aus „Kampf und Klasse“: „Ein Arbeiter sieht deine Bücher und erkennt, dass du dich für etwas Besseres hältst. Ein Akademiker sieht deine Bücher und erkennt, dass du es nicht bist.“ Mein Highlight ist die Story vom Bau „Antihelden“ von Clemens Meyer, dessen Schreibe ich hiermit auch einmal kennenlernen durfte. (begeistert). Fazit: Obwohl ich nicht alle diese Geschichten gleich gern mochte und auch nicht alle gleich gut geschrieben sind, ist die Begegnung mit dem Schmerz, den der Kapitalismus verursacht, vielleicht verursachen muss? - so extrem wichtig, dass ich keineswegs unter fünf Sterne bei meiner Beurteilung gehen möchte. Kategorie: Politik. Kurzgeschichten. Verlag: Claassen, 2021

zurück nach oben