mounddiemachtderbuchstaben
„Kommissar Gennat und die Tote im Reisekorb“ fußt auf einem Fall, der die Berliner Öffentlichkeit 1916 tatsächlich bewegt hatte. Dementsprechend neugierig war ich auf die Umsetzung dieses Kriminalfalles, denn hierbei handelte es sich nicht um ein klassisches True Crime Buch, da es auch einige fiktive Handlungsstränge gab. Gleich mit der ersten Seite begann Regina Stürickow den Lokalkolorit der Berliner Arbeiterklasse einzufangen und beschrieb eindrucksvoll dessen soziale Zustände. 1916 war wahrlich keine einfache Zeit für die Menschen und dies wurde authentisch vermittelt. Die Unterschiede in den Gesellschaftsschichten stellte die Autorin gekonnt dar, indem sie in so manchen Dialogen auch die typische „Berliner Schnauze“ einflocht. So viel es mir relativ leicht, bei der Anzahl an vorkommenden Figuren den Überblick zu behalten. Obwohl das Buch „Kommissar Gennat und die Tote im Reisekorb“ heißt, war der gute Ermittler nicht der eigentliche Hauptakteur. Im Wesentlichen begleitete ich die fiktive Person Max Kaminski. Ein junger Journalist, aufgrund eines Herzleidens wehruntauglich und der nun die Chance erhielt, gemeinsam mit dem allseits bekannten Kommissar zu ermitteln. Mir war Max sehr sympathisch. Ein bodenständiger und sehr hartnäckiger Mann, der gute Ideen und Ermittlungsansätze hatte. Sie stießen aber sehr häufig nicht auf Ernst Gennats Zustimmung, was mir persönlich gefiel. Denn so erhielt ich einen Blick auf dessen Einstellung zur Ermittlungsarbeit und wie er an solche Fälle heranzugehen pflegte. Außerdem gelang es dadurch Regina Stürickow ein interessantes Porträt des berühmten Ernst Gennat zu zeichnen. Kommissar Ernst Gennat nahm ich als eine Persönlichkeit wahr, der ziemlich durchsetzungsstark gewesen ist, aber gerne auch mal für einen kurzen Moment die Fassung verlor. Erstaunlich schnell fand er aber zu seinem angenehmen und freundlichen Wesen zurück. Ein gern gesehener Mensch, nicht nur von mir als Leser, sondern auch von den Menschen, die ihm tatsächlich begegnet waren. Wilde Spekulationen, wie sie Max gerne zum Besten gab, waren definitiv nichts für den Kommissar, der nur Fakten sehen wollte. Dennoch entwickelten die beiden Figuren eine schöne gemeinsame Dynamik und es war spannend zu erleben, wie Max und dessen Frau Lizzy dazu beitrugen, den Fall Richtung Aufklärung zu treiben. Obwohl die Geschichte relativ ruhig und ohne große Effekthascherei erzählt wurde, baute sich eine gute Spannung auf, welche sich bis zum Ende immer weiter steigerte. Durch den verständlichen und flüssigen Schreibstil gelang es Regina Stürickow leicht, mir ihr sauber recherchiertes historisches Wissen zu vermitteln und gönnte mir einen interessanten, authentischen und lebendigen Blick auf die Denk- und Lebensweise der Bevölkerung um 1916. Insgesamt war das Buch schlüssig und nachvollziehbar aufgebaut worden. Meiner Meinung nach gab es am Anfang einen kleinen Logikfehler. Da er aber im weiteren Verkauf keine weitere Bedeutung mehr erhielt, konnte ich darüber locker hinwegsehen. Zudem gefiel mir sehr die detaillierte Ausarbeitung der deutschen Geschichte zu Zeiten des Ersten Weltkrieges, der dort vorherrschenden Missstände und der Ermittlungsarbeit der damaligen Polizeibehörde. Das Ende war sehr gelungen und der Fall wurde vernünftig und ohne Hast aufgeklärt. Dennoch löste es einen Gänsehautschauer aus, denn die Brutalität des wahren Lebens war wirklich grausam. Fazit: Ein ruhiger, dennoch spannend geschriebener Krimi, der auf einem authentischen Fall beruht und die damaligen Verhältnisse lebendig widerspiegelt. Interessant, historisch beeindruckend und auf seine eigene Art erschreckend brutal.