hyperventilea
Eine spannende Abenteuergeschichte und gleichzeitig ein Plädoyer für Mitgefühl und Hilfsbereitschaft Der vierwöchige Mittelmeer-Segeltörn, den Oscar mit seinen Eltern auf der Calypso unternimmt, entwickelt sich völlig anders als erwartet. Die Familie entdeckt auf offener See zwei Kinder, Nala und Moh, die auf einem Rettungsring treiben und zieht die beiden aufs Schiff. Nala und Moh stammen aus dem Kongo, sind Geschwister und wollten mit weiteren Menschen auf einem Boot flüchten, fielen dabei aber über Bord. Oscars Eltern versuchen, die Geschwister in einem Auffanglager für Flüchtlinge unterzubringen. Doch in keinem der angesteuerten Häfen sind Flüchtlinge willkommen. Während der Fahrt gewinnt die Familie, allen voran Oscar, die beiden Kinder immer lieber. Doch die Kinder können nicht einfach bei ihren Rettern bleiben, der unvermeidliche, schmerzliche Abschied rückt jeden Tag ein Stück näher... Cornelia Franz schreibt kindgemäß und sehr flüssig. Meine Kinder und ich fühlten uns sofort von der Geschichte angesprochen und hatten keine Schwierigkeiten, uns in das Geschehen hineinzuversetzen. Kinder ab zehn Jahre können das Buch sicher schon selbstständig lesen und verstehen. Sie werden aber vermutlich Fragen zum Thema, zu rechtlichen Regelungen und zu Mohs und Nalas Situation haben, daher empfiehlt es sich für die Eltern, das Buch ebenfalls zu lesen. Alle Figuren in „Calypsos Irrfahrt“ sind sympathische, angenehme Charaktere. Da ist Oscar mit seinem großen Herz, der offen und neugierig auf andere, in diesem Fall auf Moh und Nala, zugeht, sofort bereit ist, mit ihnen zu teilen und auf ihre Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. Auch Oscars Eltern zeigen viel Mitgefühl, setzen sich engagiert für die Kinder auf der Flucht ein und tun alles, was in ihrer Macht steht, um es für die Geschwister so angenehm und erträglich wie möglich zu machen. Moh und Nala haben Dinge erlebt, die kein Kind erleben sollte. Nala wirkt für ihr Alter erstaunlich reif und gefasst, sie ist selbstständig und zupackend und liebt ihren Bruder über alles. Moh hingegen kann die Erlebnisse der Vergangenheit nicht vergessen, er wirkt zappelig, sehnt sich nach seinen Eltern, findet einfach keine Ruhe. Im Laufe der Geschichte verändert sich die Beziehung der Familien untereinander, sie kommen einander näher und näher. Auch die Charaktere entwickeln sich durch die Geschehnisse weiter. Ganz schön abenteuerlich und spannend geht es auf der Calypso zu. Unterwegs gerät die Familie in einen lebensgefährlichen Sturm. Über allem steht aber die Frage, wie es mit Moh und Nala weiter geht. Und was die beiden von ihren früheren Erlebnissen berichten, lässt sicher keinen Leser kalt. Anfangs war ich skeptisch, ob das hochkomplexe, vieldiskutierte politische Thema „Flüchtlinge“ wirklich für ein Kinderbuch geeignet ist. Wie können Kinder etwas verstehen, das selbst Erwachsenen überfordert? Cornelia Franz ist es gelungen, einen ganz individuellen Bezug zum Thema herzustellen. Sie sensibilisiert ihre Leser dafür, dass es Menschen gibt, die nicht so eine privilegierte Ausgangsposition haben wie sie selbst, dass es manche Menschen alleine nicht schaffen können und auf die Hilfe anderer angewiesen sind und dass wir es trotz aller Umstände in der Hand haben, sie in irgendeiner Form zu unterstützen. Cornelia Franz Buch ist genauso eine mitreißende Abenteuergeschichte wie Plädoyer für Hilfsbereitschaft und Mitgefühl. Die Geschichte erhebt sicher nicht Anspruch, komplett realistisch zu sein, aber sie zeigt einfühlsam und ohne zu laut zu werden, dass es im Hinblick auf globale Probleme auch und vor allem im Kleinen darauf ankommt, an andere zu denken, sich für andere einzusetzen und ganz intuitiv für sie da zu sein. Für mich wurde das Buch ganz zu recht mit dem Hamburger Literaturpreis ausgezeichnet.