Profilbild von joberlin

joberlin

Posted on 31.3.2021

Die Journalistin und Schriftstellerin Anja Hirsch legt mit "Was von Dora blieb" ihren ersten Roman vor. Die Protagonistin Isa erhält nach dem Tod ihrer Großmutter Dora eine Kiste mit alten Tagebüchern, Fotos, Briefen. Anhand dieser Unterlagen versucht Isa nun das Leben dieser für sie unnahbaren und geheimnisvollen Frau zu rekonstruieren. Dabei wirft sie einen Blick zurück auf ein ganzes Jahrhundert in Kunst, Gesellschaft und Politik. Der Beginn der Moderne, die Reformbewegung, die goldenen Zwanziger, das Naziregime und dann die Nachkriegszeit sind hier die wichtigsten Stationen. Angelegt ist das Buch auf zwei Zeitebenen, 2014 mit Isa und fortlaufend ab 1914 mit Dora als Protagonistin. Diese an sich gute Story verflacht aufgrund der umständlichen und weit ausholenden Schreibweise der Autorin, Nebenfiguren werden erst sehr ausgearbeitet, dann ins Nichts fallengelassen, so bleibt zum Beispiel die Episode um einen Professor der Kunstschule ohne jeden Nachhall auf die Protagonistinnen oder auf das Geschehen. Das würde man trotzdem gerne lesen, wäre es feiner, subtiler geschrieben – hier wirkt es aber einfach nur so draufgesetzt, wie so manche andere Nebengeschichte auch. Aus meiner Sicht hätte Anja Hirsch diese Zerfaserungen an den Seitenrändern aufgrund des großen Potentials des historischen Hintergrunds nicht nötig gehabt, Verfeinerung der Kerncharaktere wäre wichtiger gewesen. Eine bessere Ausarbeitung findet sich jedoch zum Ende in der Lebensgeschichte Isas Großvaters und Vaters zu Nazi- und Nachkriegszeiten. Bei den beiden Frauenfiguren, Dora und Enkelin Isa, werden einige Parallelen sichtbar, beide haben zum Beispiel einen Autounfall, beide leiden unter einer Liebesdreiecksgeschichte, beide erfahren jedoch keine wirkliche Entwicklung, sie verharren in ihren konventionellen Rollen. Doras "Moderne-Frau-Haltung" - mit Kunstschulbesuch und Garçon-Haarschnitt - erweist sich als bloße Attitüde und auch Isa kehrt schließlich zum untreuen Ehemann zurück. Was blieb nun von Dora? Eine gute Story, eingebettet in 100 Jahre deutsche Geschichte, für mich nicht immer zufriedenstellend dargestellt, aber – wie es im Roman so richtig heißt: " Die einzige Wahrheit gibt es nicht". Und so mögen andere Leser*innen anders urteilen.

zurück nach oben