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cosima73

Posted on 22.3.2021

„Aber uns vereint als aufgeklärte Gesellschaft dann doch die eine Sache: Wir können nie letztgültig wissen, was richtig und was falsch ist, absolute Urteile über die Welt gibt es nicht.“ Der Ethikrat tagt, mit dabei Sachverständige des Rechts, der Medizin und der Theologie sowie Richard Gärtner, um dessen Fall es geht, und sein Anwalt. Nachdem Gärtners Frau nach vielen gemeinsamen Jahren gestorben ist, erhofft er sich von seiner Augenärztin (auch sie vor Ort) Hilfe zum Suizid. Mit nun 78 Jahren, noch gesund, möchte er nicht mehr in einer Welt leben, in der seine Frau nicht mehr ist. Die Frage, die sich stellt: Darf er wirklich frei entscheiden über seinen Tod und ist es ethisch vertretbar, dass ein Arzt ihm dabei hilft? Wir haben von Gesetzes wegen ein Recht auf unser Leben, doch beinhaltet dieses auch rein recht auf einen selbstbestimmten Tod? „Wir können bedauern, wenn ein Mensch sterben will. Wir dürfen natürlich alles versuchen, ihn umzustimmen. Aber wenn uns das nicht gelingt, ist seine freie Entscheidung zu respektieren.“ Selbstbestimmung ist eine Grundvoraussetzung für Würde, nur ein selbstbestimmtes Leben ist eines, das würdig gelebt wird. Dazu kommt, das es keine Pflicht zu leben gibt, nur ein Recht. Nur: Ist das wirklich so? Haben wir nicht zumindest moralische Pflichten als soziale Wesen? „Wir leben in einer Gemeinschaft, in Familien, in Freundeskreisen, in einem Staat. Jeder, der in einer Gemeinschaft lebt, hat auch eine Verantwortung für sie. Wir wissen heute, dass ein Selbstmord viele Menschen schwer belastet – Kinder, Enkel, Freunde, Arbeitskollegen. […] 60’000 leidende Hinterbliebene jedes Jahr. Ein Drittel davon entwickelt selbst psychische Störungen.“ Ferdinand von Schirach beleuchtet in seinem Buch „Gott“ die Frage, wem das Leben gehört, von verschiedenen Standpunkten, wobei er für jeden davon überzeugende Argumente liefert. Jeder Sachverständige wird nach seiner Meinung befragt und diese wird in der Folge hinterfragt. Fast fühlt man sich an die Sokratischen Dialoge erinnert, in welchen auch Meinungen durch Fragen ins Wanken oder gar Einstürzen gebracht werden. Es gelingt Ferdinand von Schirach, den Leser in dieses Nachdenken und Hinterfragen hineinzuziehen, so dass das Lesen zu einem quasi interaktiven Prozess wird. Entstanden ist ein sehr philosophisches, tiefgründiges, durchdachtes, die grossen Themen des Lebens ansprechendes Buch, welches trotz der Komplexität der Thematik gut lesbar und verständlich ist. Ergänzt wird das Theaterstück durch drei Essays, welche das Thema Suizid nochmals aus religiöser und kultureller, ethischer und rechtlicher Perspektive beleuchten. Fazit: Ein philosophisch wertvolles, tiefgründiges und zum Hinterfragen eigener Meinungen anregendes Buch zum Thema Suizid und Beihilfe zu ebendiesem. Sehr empfehlenswert!

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