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joberlin

Posted on 17.3.2021

Lucy Stevenson ist eine durch und durch konservative Frau. Sie ist ganz Hausfrau und Mutter, so sehr, dass ihr sogar "das Haus immer mehr wie ein enger Freund vorkam, fast wie ein Geliebter." Zwei Kinder hat sie, den Ehemann Jake sieht sie als drittes, sie sagt über seinen Körper:" Wie die Haut eines mit Milch genährten … Jungen – er war ein Junge. Mit blondem Lockenkopf, wie ein Engel." Erotisch ist hier nichts und doch spielt Erotik bald eine Rolle, denn Lucy entdeckt, dass Jake eine Geliebte hat. Nun bricht die Welt zusammen, womöglich fehlt bald der Versorger, wie soll sie dann existieren? Zwar arbeitet sie freiberuflich als Texterin, doch wirkt das halbherzig und unambitioniert, hauptberuflich ist sie Dienerin der Söhne, denen darf nichts zugemutet werden, eine Geburtstagsfeier kann nicht abgesagt werden, dann wären sie enttäuscht, den Schulweg fährt sie 2x täglich und ein bisschen Nasenbluten oder eine Schramme muss ewig betuttelt werden. Und dieser Frau sollen wir ein Interesse, ja eine Faszination für griechische Mythologie und im Speziellen für das Mischwesen Harpyie abnehmen? Nein, dieser übergestülpte Rahmen, ohne den das Ganze – seien wir ehrlich – nur eine durchschnittliche Schnulze wäre, passt nicht auf die Protagonistin und das liegt an der Schwäche der künstlerischen Umsetzung. Der Roman liest sich - mangels Feinheiten - mal schnell nebenbei runter, griechische Sagen und Hochkultur spielen keine wesentliche Rolle, schon gar nicht in Lucys Dasein und so wird ihre vermeintliche Verwandlung ins rachesuchende Fabelwesen zur bloßen Attitüde. Zwar arbeitet die Autorin Megan Hunter einige Merkmale der Harpyie ab - die Vogelfrauen bevorzugen das Meer, töten alle, die den Zorn des Zeus erregen (zum Beispiel durch Vergiften) und auch ihren unbändigen Hunger, das bleiche Gesicht entdeckt Lucy nun bei sich. Dem Ehemann werden drei Strafen auferlegt, das hört sich nach Teenie-Getue an und ist im Roman weder glaubwürdig noch schlüssig dargestellt, denn Zuneigung oder gar Verliebtsein kann man nun mal nicht durch Strafen austreiben. Get a life, girl! - möchte man ihr zurufen, die 70 Jahre vom College bis zur Bahre gehen in einer Ehe eben nicht ohne Risse. Sprich einfach mit ihm oder such dir einen neuen Versorger und die Jungs schickst du zum Selbstständigwerden mal vier Wochen ins Feriencamp. Drei Prüfungen, Lucy – kriegst du das hin?

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