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Schattenwege

Posted on 12.3.2021

K-Pop ist in den letzten Jahren auch in Deutschland extrem auf dem Vormarsch und kann sich inzwischen überall auf der Welt einer großen Fangemeinde erfreuen. Da liegt es nahe, das Musik-Genre in einer Liebesgeschichte zu verarbeiten und die klassische Rockstar-meets-Mauerblümchen-Story auf ein anderes Level zu heben. Obwohl in Amerika spielend, stellt "When We Dream" den Auftakt einer deutschen New Adult-Trilogie dar und wurde weitläufig als K-Pop-Lovestory beworben. Tatsächlich sind zumindest im ersten Band allerdings nur wenige Einblicke in die entsprechende Szene zu finden. Viele Leser erwarten sich von diesem Vorstoß wahrscheinlich mehr Hintergrundinformationen, werden aber zumindest im ersten Band in dieser Hinsicht eher enttäuscht. Stattdessen verwendet Anne Pätzold viel Zeit, um das Zusammenleben der Schwestern bis ins kleinste Detail zu beleuchten und Ella über ihr Studium und ihren Nebenjob in einer Museumsgarderobe jammern zu lassen. Was gleich in mehrfacher Hinsicht für Verwirrung sorgt, denn Ella wird zum Beispiel nicht müde zu betonen, dass Mel viel zu viel arbeitet, um den Lebensunterhalt der drei zu finanzieren, und doch wird ständig beim Lieferservice bestellt. Oder dass Ella noch nie etwas von NXT gehört haben will, als sie Jae-yong trifft, hinterlässt beim Leser viele Fragen – denn immerhin ist ihre Schwester Liv einer der größten Fans der Band, schaut regelmäßig Dokumentationen und Interviews im gemeinsamen Wohnzimmer und tanzt sogar in einer Jugendgruppe die Choreographien der Band zu deren Songs nach. Ella muss also schon große Scheuklappen tragen oder ihren Schwestern gegenüber ziemlich ignorant sein, um wirklich gar nichts von der Band mitzubekommen. Diese kleinen Unstimmigkeiten sind leider nicht das Einzige, was "When We Dream" zu einem eher durchschnittlichen Auftakt macht. Während die Nebencharaktere sehr viel Raum einnehmen und man noch nicht so recht dahinterkommt, welchem Zweck sie tatsächlich dienen, bleibt die Beziehung zwischen Ella und Jae-yong lange Zeit fast nebensächlich. Da die Geschichte ausschließlich aus Ellas Sicht erzählt wird, bekommt man kaum die Chance, den jungen Musiker, seine Band und das Business überhaupt kennen zu lernen. Dazu kommt, dass er keine Ecken und Kanten hat, sondern die ganze Zeit nett, freundlich, zuvorkommend und sehr rücksichtsvoll ist – um nicht zu sagen: größtenteils langweilig. Lediglich die kleinen Schlagabtausche per Chat, die das Buch um Längen auflockern, bringen ein wenig Abwechslung und wirkliche Spannung in die Geschichte. Auch die Liebesgeschichte an sich bleibt in diesem ersten Band eher ruhig und kann kein wirkliches Knistern transportieren. Erst im letzten Viertel kommt endlich etwas Schwung in die Sache, und das ist einer der Gründe, warum man schließlich dem zweiten Teil mit Interesse entgegenblickt. Auch die gemeinsame Liebe zum geschriebenen Wort ist authentisch dargestellt, sodass zumindest dieser Bestandteil nachvollziehbar ist, auch wenn die zahlreichen Fandom-Erwähnungen teilweise etwas überhandnehmen. Anne Pätzold hat einen grundsätzlich sehr ruhigen Schreibstil, der einen angenehmen Lesefluss verschafft, und dass auch die Story bis hierhin noch nicht mit allzu viel Dramatik auffährt, macht "When We Dream" zu einem insgesamt sehr unaufgeregten, teilweise seicht vor sich hin plätschernden Lesevergnügen. Wer sich auf eine ruhige Liebesgeschichte einlassen und ohne die geballte Ladung Prickeln auskommen kann, dürfte mit diesem Auftakt gut unterhalten werden. Alle anderen hoffen auf die Folgebände, deren Chance in einer Menge Potential steckt. Fazit: "When We Dream" stürzt den Leser in ein echtes Auf und Ab der Gefühle – leider nicht nur in positivem Sinn. Der sehr ruhige, angenehm zu lesende und mit einigen Highlights aufwartende Schreibstil von Anne Pätzold trifft auf eine mit irrelevanten Details überladene und gleichzeitig nicht vorankommende Geschichte, relativ blasse Charaktere und einige Unstimmigkeiten. Das Gesamtpaket macht den Auftakt der "LoveNXT"-Trilogie zwar zur kurzweiligen, aber nicht unbedingt im Gedächtnis haftenbleibenden Lektüre. Hoffentlich können die Folgebände das vorhandene Potential besser nutzen.

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