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"Die stille Seite der Musik" hat zu mir gefunden, als mir die Svea Lundberg, hinter der sich Fantasy-Autorin Julia Fränkle verbirgt, einen ihrer Romane angeboten hat, nachdem sich bei einer Debatte auf Instagram herausgestellt hat, dass wir auf einer Wellenlänge waren. Nach Stöbern durch die (sehr zahlreichen) Veröffentlichungen der Autorin habe ich mich schließlich für Flos und Tinos Geschichte entschieden und mein Urteil auf keinen Fall bereut. Svea Lundberg hat hier nämlich eine absolute Wohlfühlgeschichte voller Musik, voller leiser Zwischentöne und der Melancholie von Moll geschrieben! Da ich klar dem geheimen "Mimimi-keine-Personen-auf-Cover"-Club angehöre, ist das Coverbild mit den zwei sich umarmenden Jungs, die Tino und Flo darstellen sollen, zwar nicht ganz mein Fall, ich finde jedoch die zarte, blau-graue Farbgebung und das maritime Dünenmotiv in der unteren Seite des Bilds ganz wunderbar. Auch den Titel, "Die stille Seite der Musik", empfinde ich als sehr treffend gewählt, da Ruhe, Stille, Musik und neue Seiten in verschiederlei Hinsichten eine wichtige Rolle spielen. Sehr positiv anzumerken sind auch das hochwertige Korrektorat und das mit Noten und Notenschlüsseln verzierte Innenleben der Geschichte. An dieser Stelle für die Gestaltung also schon mal ein Lob an den Traumtänzer Verlag und die Autorin. Erster Satz: "Moll wird von den meisten Menschen als traurig oder düster empfunden, während sie Dur eher mit Attributen wie fröhlich oder hell beschreiben." Svea Lundberg beginnt den ersten Teil ihrer Geschichte mit dem klangvollen Titel "Die Melodie von Hufschlägen" mit einer kurzen, musiktheoretischen Ausführung zu den beiden Tongeschlechtern Dur und Moll, um dann zum Unfall überzuleiten, der Tinos Welt aus den Angeln hob. Vormals angehender Starpianist, der von seiner Mutter von klein auf dazu getrimmt wurde, in die großen Fußstapfen seines Vaters zu treten, bleiben ihm nun eine zertrümmerte, unbewegliche linke Hand, ein geplatzter Traum, ein verpasstes Schuljahr und eine Portion Verbitterung. Einfach wegfahren, denkt er sich nach Wochen voller Arzttermine und Abgeschiedenheit. Auch wenn er dabei eher an südlichere Gefilde gedacht hätte, muss er nach wenigen Tagen auf dem Reiterhof seiner Tante auf Fehrmann, auf den ihn seine Mutter geschickt hat, feststellen, dass er alles hat, um drei Wochen auszuspannen, zu heilen und über seinen Verlust hinwegzukommen. Das liegt jedoch nicht nur an der frischen Ostseebriese, dem Abstand zu seiner Mutter, den Pferden und der idyllischen Landschaft, sondern am angestellten, gehörlosen Stallburschen Florian. "Flo erwidert mein Grinsen, ehe er sich von mir abwendet und sich tief über Tuvas Hals neigt. Die Fjordi-Stute schießt im Galopp davon. Auch durch Minnjas Körper geht ein Ruck, sie streckt sich und dann... ja, dann fühlt es sich wie fliegen an. In meinen Ohren hallt die Melodie von Hufschlägen." Wie man in dieser kurz angeteaserten Inhaltszusammenfassung schon erkennen kann, lebt die ungewöhnliche Story vor allem von drei Komponenten: Pferden, Musik und dem Umgang mit vermeintlichen Handicaps. Die Leidenschaft für Pferde steckt in jeder Seite des Buches, denn wenn die Figuren gerade nicht ausreiten, den Stall ausmisten, auf die Geburt eines Fohlens warten, im Stall übernachten, Kutsche fahren oder zum Horseball gehen, sorgt wenigstens der Flo immer anhaftende Geruch nach Heu und Stall für romantisches Pferdehofambiente. Man merkt der Autorin wirklich an, dass sie sich zum Sammeln neuer Ideen "meist auf dem Pferderücken" wiedergefunden hat, wie sie in ihrer Autorenvita angibt und ich habe sofort Lust bekommen, auch mal wieder Ferien auf einem Bauerhof zu machen und meine sehr eingerosteten, fast nicht vorhandenen Reitkenntnisse aufzufrischen. Ein ebenso tragendes Motiv ist Tinos Liebe zur Musik, die er glaubt durch den Unfall verloren zu haben. Durch die Begegnung mit dem gehörlosen Florian merkt er jedoch, dass Musik mehr sein kann, als Fingerfertigkeit auf schwarz-weißen Tasten und nicht jede vermeintliche Einschränkung als störendes Handicap wahrgenommen werden muss. "Ich glaube", breche ich nach einer gefühlten Ewigkeit die Stille, "meine Mutter hat das nicht gespürt. Dasselbe, das ich empfunden habe, meine ich. Sie war stolz, wenn ich gespielt habe, mir das Publikum zugejubelt hat und ich..." "Du wolltest einfach nur spielen." "Fühlen", wispere ich. Und Petra noch leise: "Lieben." Während des ersten Drittels dominiert vor allem die zarte, vorsichtige Annäherung der beiden Protagonisten die Handlung. Wie schon im Klapptext beschrieben, sind einige Missverständnisse durch die fehlende Kommunikationsebene vorprogrammiert und es kommt zu einigen absurden Situationen, die die beiden Figuren jedoch häufig mit Humor nehmen. Das Thema Gehörlosigkeit ist dabei sehr einfühlsam und selbstverständlich dargestellt, was vermutlich durch eine gründliche Hintergrundrecherche der Autorin ermöglicht wurde. Wenn Mimik und Gestik nicht ausreichen, wird eben kurzerhand zu einem Schreibblock gegriffen oder Handynachrichten ausgetauscht, solange bis Tino die ersten Brocken Gebärdensprache aufschnappt. Tinos und Flos Kennenlernen und Annähern ist demnach, ganz anders als in vielen anderen Liebesgeschichten, nicht durch schlagfertige Wortgefechte, langen Gesprächen und klarem Geflirte geprägt, sondern findet leiser statt. Svea Lundberg greift dabei auf viele Beschreibungen und Feinheiten im Gesichtsausdruck zurück, da gerade zu Beginn durch Flos Gehörlosigkeit keine richtigen Dialoge möglich sind und gibt den Begegnungen den beiden somit eine neue Bewertungsdimension. "Ist mir herzlich egal, ob ich hetero, oder bi oder vielleicht doch eher schwul bin. Mann oder Frau? Who cares? Ich liebe schließlich nicht ein Geschlecht, sondern einen Menschen." Die Auseinandersetzung Tinos mit der Bedeutung seines Unfalls bleibt dabei, genau wie viele andere der vorgestellten Themen, ziemlich an der Oberfläche und tritt hinter der Liebesgeschichte zurück. Das stört jedoch gar nicht zu sehr, da hier eher das Gesamtpaket überzeugen kann. Neben der schon beschriebenen Liebesgeschichte und den Motiven, die ein ganz zauberhaftes Setting erschaffen, ist auch die Atmosphäre der Geschichte sehr nett. Aufgrund des relativ langsamen Erzähltempos ist "Die stille Seite der Musik" zwar kein Pageturner und lässt sich eher mehr Zeit, dadurch strahlt die Geschichte aber auch eine erholsame Ruhe aus. Trotz ernster Themen erschafft Svea Lundberg eine ganz liebeswerte, heile-Welt-Atmosphäre, die sich beim Lesen anfühlt wie Urlaub und uns Zeit lässt, die Figuren besser kennenzulernen. Flo zu lieben ist einfach: mit seiner positiven Art, dem unschuldigen Selbstvertrauen und dem Sonnenscheinlächeln hat er sich schon nach wenigen Sätzen in mein Herz geschlichen. Kein Wunder, dass Tino dem sanftmütigen Pferdenarr mit dem Strahlelächeln sofort verfällt. Mit Tino hat man es zu Beginn als Leser schon etwas schwerer, da er leicht verbittert und mit negativen Voreinstellungen auf dem Gestüt ankommt. Innerhalb der Geschichte macht er zwar immer wieder einige dumme Fehler über die ich ab und an die Augen verdrehen musste, er macht hier aber die größte Entwicklung durch. Im Vergleich dazu lernen wir Flo im Verlauf der Geschichte leider nur aus Tinos herzenumwölkter Rosa-Brillen-Sicht kennen, sodass er trotz des tollen ersten Eindrucks insgesamt etwas blasser erscheint und wir kaum mehr über ihn erfahren, als man in seiner Mimik ablesen kann. Gerade während der großen Zeitsprünge am Ende habe ich ihn dadurch etwas aus den Augen verloren, was auch dadurch gestützt wurde, dass mir bei beiden Figuren einige Hintergrunddetails gefehlt haben, von denen ich immer dachte, sie würden noch kommen. Beispielsweise kommen Flos Eltern und seine Vergangenheit kaum vor, genauso wenig wie wir erfahren, was aus Tinos Vater wurde. Klar, das sind keine essenzielle, für die Story wichtigen Informationen, aber all das macht die Figuren echter, da man sie, je mehr man über sie erfährt, mehr wie tatsächliche Menschen wahrnimmt. "Vorhin noch hat mein Herz wie blöde gehämmert. Nun gehen Herz- und Pulsschlag ruhig. Und in diesem Moment beginne ich zu begreifen, was mich an Flo fasziniert. Es ist die Ruhe, die er ausstrahlt. Die Ruhe in seinen Bewegungen, ohne Eile. Die Ruhe in seinen Gesten, obwohl seine Mimik sehr aufgeweckt ist. Die Ruhe in jeder seiner Taten, obwohl er beim Horseball-Spielen alles andere als zurückhaltend ist." Und hier kommen wir zu meinem Hauptkritikpunkt, weshalb ich bei der Bewertung 1,5 Sterne abziehen musste: gerade im letzten Teil der Geschichte gerieten mir wichtige Schlüsselszenen zu knapp, was auch daran liegt, dass einige Passagen stark gerafft wurden und zuvor schon sexuelle Handlungen überhandnehmen. Diese waren zwar sehr stilvoll, auf die Figuren zugeschnitten und weniger derb, als ich das aus anderen Gay-Romances schon kenne und auch die Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit, mit der Sexualität und Erotik hier beschrieben wird, hat mir gefallen, aber für meinen Geschmack waren diese Szenen im Verhältnis zur Reststory doch zu viel des Guten. Ich hätte gerne einige gestrichen und lieber die Auflösung der Geschichte, oder Tinos klärendes Gespräch mit seiner Mutter etwas mehr ausgebaut, welche am Ende recht knapp dafür bleiben. Ebenfalls recht farblos verläuft ein weiterer Teil der Handlung, nämlich der um das Geheimnis der Sabotagevorfälle beim Horseball. Schon von Beginn an hatte ich das Gefühl, dass die Geschichte die dadurch zusätzlich gewonnene Spannung nicht nötig gehabt hätte und nachdem dann völlig unspektakulär und ohne ein Motiv oder eine Erklärung der Schuldige gefunden wird, war ich mir sicher, dass ich diesen Handlungsstrang als überflüssig empfunden habe. Das angefügte Bonuskapitel regt dann jedoch wieder zum Träumen ein und unterstreicht trotz der Kritik, weshalb ich das Buch empfehlen kann! Fazit: "Die stille Seite der Musik" ist trotz gut recherchierter, ernster Themen eine absolute Wohlfühlgeschichte voller Musik, leiser Zwischentöne und der Melancholie von Moll! Über die leichten Schwächen der Figuren im letzten Drittel, die etwas überhandnehmenden Erotikszenen und die eher blasse Auflösung, kann man dank des stimmigen Gesamteindrucks von Pferde, Musik und Liebe gut hinwegsehen.