sabinescholl
Endlich weiß ich, wie das damals gelaufen ist an der Boca do Inferno. Am Höllenschlund, einer lebensgefährlichen Stelle der Lissabonner Küste, war der berühmte Magier und Scharlatan Aleister Crowley im September 1930 verschwunden, nachdem er den Dichter Fernando Pessoa in der portugiesischen Hauptstadt besucht hatte. Nur mehr sein Zigarettenetui und eine kryptische Botschaft wurden gefunden. Immer schon hatte ich mich gewundert, wie es dazu kam, dass Aleister Crowley, seinen „Bruder“, wie er ihn in Briefen nennt, unbedingt hatte treffen wollen. Der Briefwechsel der beiden wurde vom Literaturwissenschaftler Steffen Dix im Band „Pessoa: Boca do Inferno. Aleister Crowleys Verschwinden in Portugal“ samt Kommentaren herausgegeben und die Sache liest sich spannend wie ein Krimi. Sofern man sich für Pessoa interessiert. Aber wer tut das nicht. Natürlich hatte ich mich während meiner Jahre in Portugal mit dem Dichter und seinem Werk auseinandergesetzt, suchte die Orte auf, an denen er sich durch die Altstadt bewegt hatte, das Restaurant, in dem er zu Mittag aß, trank den Brandy, den er bevorzugte, ließ mir von portugiesischen Freunden über ihn erzählen, versuchte das berühmte Gedicht „Mensagem“ samt mystisch-politischen Implikationen zu verstehen. Die Faszination von Pessoa bestand auch darin, dass man nie genug über ihn wissen konnte, dass immer wieder weitere, auf verschiedenste Papiere gekritzelte, Notizen auftauchten. Das Bild von ihm und seinem Werk sei unmöglich, je als abgeschlossen zu betrachten, behauptet Dix, der bereits seit Jahren an der Lissabonner Nationalbibliothek Pessoas Schriften analysiert. „Vielmehr verändert sich dieses Werk beständig in einer regelmässigen Erneuerung, und in einer letzten editorischen Konsequenz dürfte es von Pessoa gar keine Ausgabe in verschiedenen Bänden geben. Er selbst und alle seine Fragmente müssten als ein einziges Gesamtbuch angesehen werden, das fortwährenden Variationen unterliegt. Sein Werk ist strenggenommen eine Art Zettelbaukasten, aus dem der Leser anhand der vom Urheber stammenden Gebrauchsanweisungen ( … ) seine individuelle Lektüre zusammenstellen kann.“ Die Bekanntschaft zwischen dem Magier und dem Dichter entspann sich aus Pessoas Beschäftigung mit Astrologie, ist von Dix zu erfahren. Pessoa hatte in Crowleys Horoskop einen Fehler entdeckt und ihm dies per Brief mitgeteilt. Crowley, immer interessiert, seinen Kult weltumspannend zu verbreiten, hoffte in dem Dichter einen willigen Adepten gefunden zu haben. Doch der zurückhaltende Pessoa, der in sich selbst einen Kosmos aus mehrfachen dichterischen Stimmen entdeckte, denen er in verschiedenen Autorenpersönlichkeiten Ausdruck verlieh, ließ sich nicht auf Crowleys Absichten ein. Wohl aber kam es zu einigen Gesprächen in Hotels und Kaffeehäusern Lissabons und Estorils. Der Coup um das spurlose Verschwinden des Magiers entstand dann wohl eher spontan, wurde aber durch Pessoas Aussagen und schriftliche Festlegungen unterstützt, so dass schließlich sogar die ausländische Presse aufmerksam und ein Detektiv auf den Fall angesetzt wurde, während Crowley sich längst in Berlin befand, dort jedoch stillhielt und dem Spektakel seinen Lauf ließ, welches sich nicht schlecht in sein Profil als allmächtiger Zauberer fügte. In Dixs Buch lassen sich diese Vorgänge nachlesen und anhand der Originaldokumente detektivisch verfolgen. Verständlich wird auch, dass Pessoa neben seinen Arbeiten als Dichter verschiedener stilistischer und thematischer Ausprägungen unter den Heteronymen Alberto Caeiro, Álvaro de Campos and Ricardo Reis wohl auch an Detektivromanen interessiert war. So gesehen, kann die Inszenierung rund um die Boca do Inferno durchaus als literarische Performance verstanden werden und fügt dem universellen Talent Pessoas eine weitere Facette hinzu. Natürlich erweist sich der Dichter letztlich als der wahre Magier und Crowley als eher degoutanter, sexbesessener Psychopath, der eine Frau nach der anderen um den Verstand brachte. Fernando aber ist und bleibt ein Heiliger der portugiesischen Moderne. Amen!