sursulapitschi
Benjamin Myers „Offene See“ ist das Lieblingsbuch der Unabhängigen 2020. Bundesweit haben Buchhändler*innen für ihr Lieblingsbuch abgestimmt und dieses Werk auserkoren. Das weckt Erwartungen und deshalb wollte ich es unbedingt lesen, muss allerdings sagen, mein Vertrauen in Buchhändler*innen ist einigermaßen erschüttert. Natürlich ist es hübsch geschrieben. Nur macht schöne Sprache allen noch kein gutes Buch. „Ich genoss diese wiederkehrenden Zustände, während aus Tag Nacht wurde und aus Nacht Tag und die Zeit nichts Lineares mehr war, sondern etwas Elastisches, das sich mal ausdehnte und mal zusammenzog, sodass eine Minute einen ganzen Tag währte und eine Woche wie ein Wimpernschlag verging. Blütenblätter entfalteten sich, Weidensamen schwebten im Wind…“ Es geht ewig so weiter und das ist natürlich ganz reizend, aber es ist auch banal, blanke Wortakrobatik, die nichts will, außer schön zu sein. Fast meint man, das bisschen Handlung stört nur. Hier entdeckt ein junger, unbedarfter Mann seinen Sinn für Lyrik, eine gestandene Frau stellt sich den Geistern der Vergangenheit. Gegenseitig geben sie sich Halt, wo sie doch bis dahin Einzelkämpfer waren, einsam, unverstanden… das ist wundervoll, ergreifend und ein sorgfältig geplantes Rührstück, bestimmt ein toller Weihnachtsfilm, aber für meinen Geschmack erlesen komponierte Langeweile. Vielleicht haben Lyrikfans ihre Freude an diesem Buch. Ich hatte aber einen Roman erwartet und als solcher ist dieses Werk ein Totalausfall: Schwulst, Kitsch und Klischees in einem Cottage am Meer, wo man vor lauter Vogelgezwitscher das Meer nicht rauschen hört, dafür aber alte Briefe findet… Nicht mein Buch.