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gwyn

Posted on 4.3.2021

Der Anfang: «Als Leo Lanteri nach zwei Tagen auf schwerer, rollender See endlich Sardinien erreichte, verbarg sich die Insel hinter «Wolken und Gischt.» Wenn man sich das Cover und den Klappentext ansieht, dann mag man auf einen Liebesroman schließen. Glücklicherweise wusste ich ein wenig mehr über den Inhalt und war nicht enttäuscht. Leider geht so dieser gute historische Roman am Klientel vorbei. Ja, Liebe kommt vor, im letzten Viertel am Ende als Randerscheinung. Worum geht es hier wirklich? Um die Beschreibung der Machtergreifung 1922 von Mussolni, aber es geht um viel mehr. Leo Lanteri, Kriegsveteran aus dem Ersten Weltkrieg und Erbe einer ligurischen Olivenplantage, leidet immer noch physisch und psychisch an einem Giftgasgasangriff, den er fast als einziger überlebte – Albträume plagen ihn. Die Squadras, die Faschisten, treiben zu der Zeit ihr brutales Machtgehabe auf den Straßen und einen von ihnen hat Leo in seiner Heimat in Ligurien getötet. Deshalb muss er untertauchen. Sein Vater schickt ihn nach Sassari auf Sardinien - für den smarten, jazzbegeisterten Leo das Ende der Welt: Hier herrscht das Mittelalter, wie er einmal bemerkt. Aber auch auf der Insel gerät Leo bald zwischen alle Fronten: Aufgebote der Linken und Rechten, erbarmungslose Prügeleien und Morde herrschen in den Gassen von Sassari. Leo soll eine besondere Olivensorte ausfindig machen, die im Landesinneren wachsen soll. Auf dem Landgut des Mussolini-Anhängers Soriga, der Oliven und Safran anbaut, trifft er auf Gioia. Die Hochzeit der eigenwilligen Tochter des Hauses steht bevor. Sie wird den Spross eines sardischen Clans von Pferdezüchtern heiraten. Die Hochzeit soll die Vindicau, italienisch Vendetta, beenden. Man sagt ja, die mörderischen Familienfehden sollen auf Sardinien bis in die 1979-er stattgefunden haben. Zwei verfeindete Familien beenden die Blutfehde durch Familienzusammenschluss, die über ein Jahrhundert gedauert hat. «Die Sarden, in den Augen der meisten Italiener nur Banditen und Hirtentölpel, hatte man stets an vorderster Front eingesetzt. Als Kanonenfutter für die Österreicher.» Die Geschichte ist in der Hauptsache aus Leos Perspektive geschrieben, der mit seiner abgetragensten Jacke anreist, aber als feiner Herr mit dieser identifiziert wird. Er trifft in Sassari auf alte Kriegskameraden, denn seine Einheit stand mit den Sarden an der Front für den König. Schnell stellt er fest, Sardinien ist nicht seine Welt, für ihn ein hinterwäldlerisches Volk. Das extreme Feudalwesen gefällt ihm nicht – die meisten Menschen sind bitterarm und werden von ihren Feudalherren geknechtet, und es herrscht großer Aberglauben. Traditionen und Bräuche Sardiniens, Feste, die Küche, das alles steht neben den politischen Gegebenheiten im Mittelpunkt. Am Anfang eines jeden Kapitels wird ein Brauch oder Mythos erklärt, der in Kursivschrift gesetzt ist. Die zweite Hauptprotagonistin ist Gioia. Sie steht in Briefkontakt mit einer Tante, die ihr aus Mailand von den Umtrieben der Faschisten berichtet. Ihr Ziel ist es, vom Vater wegzukommen, aber auch das Gestüt soll nur ein Zwischenschritt sein. Ihr Verlobter ist ein feiner Kerl, der gerade sein Jurastudium abgeschlossen hat. Sie hofft darauf, dass er mit ihr in die Hauptstadt zieht, am besten gleich aufs Festland. «Der junge Signor Marras grinste. ‹Meine Mutter sagt immer, in Sardinien brauchen wir keine Gesetze aus Rom. Wir haben die vindicau.» Der Roman berichtet von historischen Ereignissen, eingebunden in die Story, und man erfährt eine Menge über die sardische Kultur, ihre Mythen, Sagengestalten, Aberglauben, Gebräuche und einiges über die sardische Küche. Das alles ist fein miteinander verwoben in eine spannende Geschichte. Grit Landau versteht es, wilde Gebirgslandschaften und Olivenhaine zu beschreiben, ebenso den Stolz der Einheimischen, die ihre eigenen Gesetze schreiben, sich wenig um Staatsordnung scheren. Sie dringt hinein in feudale Gesellschaftssysteme, in den politischen Machtumbruch durch den Duce. Ein breitgefächertes Buch, bei dem auch eine Lovestory am Rande eingeflochten ist. Wer sich für italienische Geschichte interessiert und für Sardinen, dem wird dieses Buch gefallen. Grit Landau hat Geschichte studiert und danach als Kultur- und Musikjournalistin gearbeitet, bevor sie zu schreiben begann.

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