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gwyn

Posted on 4.3.2021

Mit hohen Erwartungen die Familiensaga begonnen und ziemlich schnell mit dem holzigen Stil des Autors in Konflikt geraten. So könnte man unsere erste Begegnung bezeichnen. Der Stil wird nicht besser, inklusive der Metaphern, die etwas für die Witzsammlung sind. Immer wieder tauchen Passagen auf, die mir nicht gefielen, holzig, pathetisch und Szenen, die wie eine Kaugummiblase aufgeblasen wurden. Wenn wir schon bei aufgeblasen sind – das ist die ganze Geschichte. Eine Familiengeschichte über vier Generationen, die in ein Waldstück verwoben sind. Der Nachwuchs im Baum zeigt sich durch den äußersten Ring im Querschnitt. Und so beginnt die Geschichte bei der Jüngsten und rückt Generation für Generation nach hinten. Der Roman beginnt in der Zukunft, im Jahr 2038. Die Biologin Jacinda Greenwood arbeitet in einem Naturreservoir in Kanada als Naturführerin auf Greenwood Island. Hier stehen die letzten großen Bäume, der letzte Primärwald auf Erden. Und weil sie so einzigartig sind, muss man für diese Führung ziemlich viel Geld hinlegen. Die Führer und sonstiges Personal unterliegen harten Regeln, und natürlich, sie sind unterbezahlt, leben in ärmlichen Baracken, wobei die Reichen in Luxushütten untergebracht sind, Essen erhalten, das die Arbeiter noch nie gesehen haben, wie zum Beispiel Lachs. Die Touristen bewundern die Bäume, machen Fotos von sich auf ihre Smartphones und posten sie in soziale Netzwerke. Hier begann ich das erste Mal zu zweifeln. Da beschreibt einer die Zukunft mit heutigen Technologien und Verhaltensweisen. Nicht vorstellbar für mich. «Ich bin gekommen, weil diese ganze Insel dir gehören könnte, Jake. Rechtmäßig dir gehören, meine ich. Ich bin hier, weil ich dir helfen will, das in die Tat umzusetzen.» Jacinda lebt in der Zeit nach dem «Großen Welken», bei dem ein Großteil der Bäume durch Pilzbefall, Insektenplagen und Dürre vernichtet wurde. Ein vorstellbares Szenario. Ihre Mutter war eine berühmte Bratschistin, die bei einem Zugunglück ums Leben kam, als Jak, wie sie genannt wird, acht Jahre alt war, und ihr Vater, ein Schreiner, Liam Greenwood, verstarb bei einem Arbeitsunfall. Jak hat keine Erinnerungen an sie. Viele Menschen sind auf der Flucht vor der Dürre, die die Welt beherrscht, Armut für die Meisten bedeutet. Immer mehr Reiche ziehen sich nach Kanada zurück, weil hier die Welt noch halbwegs in Ordnung ist. Papier ist sehr teuer und gedruckte Bücher sind wertvolle Handelsware. Die «Baumkathedrale von Greenwood» ist ein Erbe der Greenwood-Familie. Jacindas Nachname ist identisch. Aber was heißt das schon? Sie hält es für reinen Zufall, bis ihr Exverlobter anreist und ihr das Tagebuch ihrer Großmutter überreicht und der Anwalt ihr erklärt, sie sei die Erbin und seine Kanzlei möchte ihr helfen, das Erbe anzufechten. Damit könne sie auf einen Schlag ihre Schulden tilgen. «In Wahrheit aber sind alle Familienlinien von der höchsten bis zur niedrigsten irgendwo entstanden, an irgendeinem bestimmten Tag. Selbst die größten Bäume müssen einmal hilflos im Wind kreiselnde Samen gewesen sein und dann Schösslinge, die sich nur zaghaft aus dem Boden schieben. Wir wissen das so genau, weil in der Nacht des 29. April 1908 eine Familie vor unseren Augen Wurzeln schlug. Wir erwachten mitten in die Apokalypse hinein.» Die Insel wurde von Harris Greenwood 1934 während der Weltwirtschaftskrise als Schnäppchen erworben und seine Tochter, Willow Greenwood ist die Mutter von Liam Greenwood, die das Island gestiftet hat und so von den Holtcorps vermarktet wird. Aber die Familiengeschichte und die Verflechtung von Jake ist noch wesentlich vertrackter ... Die Familie der Geenwoods ist mit dem Wald verbunden: Geschäfte, Rückzugsort, Freveltaten, Kompliziertes. Waisenkinder die sich Wald durchschlagen, Bruderhass, ein entführtes, ausgesetztes Baby, Eisenbahn- und Autounfälle, die zum Tod führen, Liebschaften, fliegende Bücher, Superwomen, einfach zu viel und zu viel Zufall – und es passieren Dinge, die sind dermaßen unglaubwürdig! Irgendwann habe ich nur noch die Augen verdreht. Auch das noch! Und es bleiben Fragen offen. Was mich ebenfalls nervte, war die Sprunghaftigkeit der Kapitel. Ich habe nichts gegen Perspektivwechsel und Ortswechsel – aber das hier ging teilweise holterdiepolter. Die Figuren sind starr, ohne Tiefe, es sind böse oder gute Menschen, schwarz oder weiß, Grautöne kennt der Autor nicht. Die Sprache ist hölzern und manchmal pathetisch so konstruiert, dass mir das Verständnis für den Inhalt fehlte. Oder Metaphern, die einem die Fußnägel hochrollen lassen: «Seine Augen sehen aus als seien sie herausgekratzt, in Schweineschmalz gebraten und wieder in die Höhlen gedrückt worden.» Davon gibt es jede Menge! Grimmsmärchen sind tiefer in den Figuren und die Storys glaubwürdiger. Wer hier eine ökologische Message vermutet, den muss ich enttäuschen, auch wenn der Anfang das verspricht. Es erwartet den Leser leider nur eine Räuberpistole. Wer sich für den Baumreichtum, die Abholzung in Amerika interessiert, und was dies für Mensch und Umwelt bedeutet, dem kann ich einen wirklich guten Familienroman aus Kanada zum Thema empfehlen: Aus hartem Holz von Annie Proulx. Michael Christie, in Thunder Bay, Ontario, geboren, studierte Psychologie und arbeitete in der Obdachlosenhilfe, bevor er 2011 sein Debüt »The Beggar’s Garden« veröffentlichte. Sein zweiter Roman »Das Flüstern der Bäume« wurde mehrfach nominiert, u.a. für den bedeutendsten kanadischen Literaturpreis, den Scotiabank Giller Prize. Michael Christie lebt mit seiner Familie in einem selbst gezimmerten Holzhaus auf der Insel Galiano vor Vancouver.

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