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hyperventilea

Posted on 4.3.2021

Eine heilsame Reise an einen ganz besonderen Ort „Verrückt, denkt Mari, dass man, um sich nicht mehr einsam zu fühlen, anscheinend zum abgelegensten Ort der Welt reisen muss.“ Eigentlich hat Mari sich sehr darauf gefreut, im Sommer auf ein Fußballcamp zu fahren. Nach Papas schwerer, überstandener Krankheit will sie einfach nur Spaß haben. Doch dann bucht Mama für die ganzen Ferien Urlaub auf der abgelegensten Insel der Welt, Solupp. Verständlicherweise ist Mari erst einmal wütend und hat gar keine Lust auf diese langweilige Insel. Doch dann ist alles ganz anders. Solupp ist voller Geheimnisse und Wunder und ehe sie sie sich versieht, steckt Mari mittendrin, im aufregendsten Sommer ihres Lebens mit Ponys, Meer, neuen Freunden und ganz viel Abenteuer, sogar einem Schatz. Annika Scheffel schildert das Geschehen aus Maris Sicht in Maris ganz eigener Sprache mit Gefühl, Tiefsinn und Humor. Sie schreibt definitiv „schön“ und besonders, wobei manche ihrer Sätze eine Herausforderung darstellen. Sie enthalten viele Aufzählungen, sind so verschachtelt und lang, dass es für mich nicht immer einfach war, den Überblick zu behalten und sie flüssig vorzulesen. Vielleicht ist Mari aber manchmal auch innerlich so aufgewühlt, dass alles gleichzeitig aus ihr herausplatzt und sie dabei selbst den roten Faden verliert. Stimmig ist der Schreibstil auf alle Fälle. Die Autorin formuliert oft wunderbare, beeindruckend treffende und durchaus witzige Sätze wie „Wenn Joon die Glühbirne gerade erfunden hat, dann sieht Kurt aus wie der Oberkerzenhersteller, der kurz vor dem Bankrott steht.“ Ein wenig kommt mir das Buch aufgrund der Sprache wie eine Schatzkiste vor, mit vielen wertvollen Perlen, die unter den Schachtelsätzen verborgen sind. Ich empfehle es Lesern ab zehn Jahren. Das idyllische Cover weckt bei den Lesern Erwartungen, die zunächst nicht erfüllt werden. Und auch die Fröhlichs machen ihrem Familiennamen anfangs keine Ehre. Sie scheinen bedrückt und oft traurig, denn hinter ihnen liegt eine schreckliche Zeit, in der Papa todkrank war und sich alles nur um seine Krankheit gedreht hat. Mari ist ein sensibles Mädchen, sie hatte große Angst, ihren Vater zu verlieren, ist aber auch insgeheim manchmal wütend auf ihn, dass er so schwach, verletzlich und träge ist. Sie vermisst ihren starken Vater von früher. Mari und ihre Empfindungen werden für mich sehr plausibel und nachvollziehbar dargestellt. Ebenso finde ich auch den Charakter Kurt, Maris älteren Bruder, sehr authentisch. Kurt ist während Papas Krankheit über sich hinausgewachsen, war für seine Geschwister stets der Fels in der Brandung, trägt jetzt aber nur noch schwarze Kleidung, sitzt immer in seinem Zimmer und wirkt dabei so verloren. Und dann ist da noch Bela, der jüngste der Geschwister, der mit seiner übersprudelnden Lebensfreude, seiner Phantasie, seiner Tatkraft, seinem Witz und seiner Unbeschwertheit das genaue Gegenteil von Kurt ist. Etwas von Belas Fröhlichkeit könnte auch Mama vertragen mit ihrem mechanischen „Wir-schaffen-das-Grinsen“, deren Lächeln seit der Krankheit nicht mehr die Augen erreicht und Papa sowieso, der körperlich immer noch schwach ist und keinen Elan mehr hat . Auf der Insel lernen den Fröhlichs die kontaktfreudigen, sympathischen Kinder Ema und Joon, die stets nette und gastfreundliche Jolka und weitere Figuren kennen, die ihnen die Wunder der Insel näherbringen und sie so schrittweise zurück ins Leben führen. Eigentlicher Star des Buches ist aber die Insel Solupp, die „große, inselförmige Krimskramsschublade voller Geheimnisse, Spuren vorheriger Besucher und Geschichten.“ „Die Luft hier riecht nach Sommer. Aber nicht wie der in der Stadt, nicht nach heißem Asphalt und nach brackigem Flusswasser und braunfleckigen Bananen, die Luft auf Solupp riecht nach Heckenrosen und Salzwasser und Sommersprossen und Karamelleis mit Sahne.“ Solupp gibt jedem Mitglied der Familie Fröhlich genau das, was es gerade braucht. Die Insel hat für die Fröhlichs definitiv Heilkräfte. „Sommer auf Solupp“ ist völlig anders erwartet und gleichzeitig genauso wie erhofft. Anfangs macht es doch sehr traurig zu lesen, wie sehr die Fröhlichs unter der Krankheit des Vaters leiden. Maris Gefühle werden so eindrücklich beschrieben, dass ich sie beinahe selbst empfand. Ich hätte die Geschwister so gerne in den Arm genommen, um ihnen zu sagen, dass alles gut wird. Doch genau das hat dann Solupp erledigt. Solupp, bei dem es einem „immer mehr so vorkommt, als sei irgendwer sehr, sehr Großes einmal quer durch die Welt gestapft, hätte in jedem Land das, was ihm am besten gefällt, eingesammelt, mitgenommen und auf dieser kleinen Insel querbeet wieder ausgestreut.“ Annika Scheffel hat an den Anfang ihres Buchs ein Zitat aus Ronja Räubertochter gesetzt: „Hier stehe ich und spüre, wie der Winter aus mir herausrinnt.“ Selten hat ein Zitat so gut gepasst. Aus den Fröhlichs rinnt im Sommer auf Solupp der Winter heraus und die Leser haben das Glück, das das hautnah miterleben zu können. Solupp ist die Idylle, die sich sicher viele wünschen, die einfach da ist und so wirkt und die manche Geheimnisse auch für sich behält. Wer wollte da nicht Urlaub machen? Ich bin sicher, es gibt für jeden Menschen ein persönliches Solupp und jeder, der es noch nicht gefunden hat, sollte dieses Buch lesen.

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