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mabuerele

Posted on 2.3.2021

„...Nichts konnte sein Fallen mehr aufhalten, und er würde unweigerlich dort unten ins schäumende Brodeln eintauchen und versinken. Diese Einsicht löschte die Flamme der Panik aus, und von einem Augenblick auf den anderen erfüllte ihn eine überirdische Ruhe...“ Derjenige, dessen Gedanken hier im Prolog wiedergegeben werden, wird wenig später tot aus dem Rhein geborgen. Lambert, ein Bekannter von Marlene aus Basel, telegrafiert ihr den Fund der Leiche, weil er vermutet, dass es ihr Bruder sein könnte. Der Tote trug ein Zigarettenetui aus Leipzig bei sich. In Leipzig hat Inspektor Paul Steiner den Mord an einen Studenten aufzuklären. Der hatte vor wenigen Tagen an einer Mensur teilgenommen. Der Autor hat erneut einen fesselnden Krimi in Leipzig anno 1920 geschrieben. Die Geschichte hat mich schnell in ihren Bann gezogen, zumal sie zeitnah an den ersten Teil anschließt. Der Schriftstil ist abwechslungsreich. Er passt sich gekonnt der jeweiligen Situation an. In Basel stellt Marlene fest, dass der Tote nicht ihr Bruder ist. Als Journalistin möchte sie aber dem Unbekannten ein Denkmal setzen und recherchiert deshalb für einen Zeitungsartikel, wer das sein könnte. Das Zigarettenetui einer Leipziger Firma ist ihr einziger Anhaltspunkt. Noch ahnt sie nicht, dass sie dabei mit ihrem Leben spielt. Der Tote in Leipzig war Jude. Sehr deutlich arbeitet der Autor heraus, wie weit fortgeschritten der Antisemitismus in Deutschland schon ist. Außerdem neigen sowohl der rechte als auch der linke Rand der Gesellschaft zu Gewalttaten. Mir gefällt Stainers trockener Sarkasmus, der ab und an aufblitzt. „...“Deine Friseur gefällt mir, Paul. Wer hat dir die Haare gefärbt?“ „Zwei Herren, die man mir gegen meinen Willen vorgestellt hat – der Krieg und der Tod.“ Gleichzeitig zeigt das Zitat, wie gekonnt der Autor das Spiel mit Worten versteht. Die Ermittlungen gestalten sich schwierig. Dabei zeigt Siegfried Junghans, Stainers Partner, dass er eine Menge an Entwicklungspotential hat. Außerdem steht er loyal zu Stainer, den einer seiner Vorgesetzten gern in die Karre fahren würde. Geschickt werden weitere politische Themen integriert. Fine, Witwe mit vier Kindern, muss um ihren Job als Straßenbahnfahrerin bangen. Je mehr Männer aus der Gefangenschaft zurückkehren, desto weniger Frauen werden im Arbeitsleben gebraucht. Ab und an kommt der Täter zu Wort. Das geschieht in kursiv abgedruckten Kapiteln. „...Ich schreibe es nicht gern, doch das Töten fällt mir von Mal zu Mal leichter. Eine verstörende Erfahrung – doch habe ich sie nicht schon im Krieg gemacht?...“ Es sind die gut ausgearbeiteten Gespräche, in denen deutlich wird, dass kaum einer der Männer ohne psychische Wunden aus dem Krieg zurückgekehrt ist. Unterschiede bestehen nur darin, wie der einzelne damit umgeht. Eine Karte von Leipzig in der vorderen und hinteren Umschlagseite ergänzt die Geschichte. Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es zeugt an vielen Stellen von der umfangreichen Recherche des Autors und seinen Kenntnissen der Stadt Leipzig.

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