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Erster Satz: «An dem Vormittag, als einer der verlorenen Zwillinge nach Mallard zurückkehrte, kam Lou Lebon mit der Nachricht ins Diner gelaufen, und selbst heute noch, viele Jahre später, können sich alle an den Schock erinnern, als der schweißnasse Lou sich durch die Glastüren drängte, schwer atmend, um den Hals herum dunkel angelaufen vor lauter Anstrengung.» In Louisiana ist der kleine (fiktive) Ort Mallard entstanden. Alle Bewohner sind negroid, aber man achtet auf sich, jede Generation wird hellhäutiger – ein ungeschriebenes Gesetz. Schwarze haben hier nichts zu suchen. In den 1950ern werden hier die Zwillinge Stella und Desiree geboren, die so weiß sind, dass sie selbst bei den Weißen als Weiß durchgehen. Ihre alleinerziehende Mutter verdient sich ihren Lebensunterhalt durch Putzen. Die beiden Mädchen sehen ihre Zukunft nicht in der Kleinstadt, sie wollen aufs Collage und später studieren, doch die Mutter macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Sie meldet sie von der Schule ab und hat bereits Arbeitsverträge für sie abgeschlossen. Das Maß ist voll für die beiden – sie hauen einfach ab nach New Orleans. «Die Vignes Zwillinge hatten sich ohne ein Wort davon gemacht und so wurde ihr Abgang, wie jedes plötzliche Verschwinden, mit Bedeutung aufgeladen. Bevor sie in New Orleans wieder auftauchten, bevor sie einfach als lebenshungrige Mädchen galten, war eine Tragödie das Einzige was Sinn ergab. Die Zwillinge hatten immer gesegnet und verflucht gewirkt, beides.» Zunächst wohnen sie zusammen, suchen sich Jobs. Die selbstbewusste Stella merkt schnell, wie weiß sie wirkt, als ihr die farbigen Boys untertänig die Türen öffnen, und sie nimmt eine Stelle in einem Büro an, die eine farbige Frau nie bekommen würde. Doch eines Tages stellt Desiree fest, ihre Schwester ist verschwunden. Stella hat die Tür zu ihrem alten Leben hinter sich zugeschlagen, heiratet einen wohlhabenden weißen Mann, bekommt ein weißes Kind. Desiree sucht nach ihr, aber die Schwester ist unauffindbar. Und eines Tages taucht Desiree wieder in Mallard auf – mit einem pechschwarzen Kind – denn sie hat sich den dunkelhäutigsten Mann ausgesucht, den sie finden konnte. Und nun flieht sie vor seinen Gewaltausbrüchen, kommt bei der Mutter unter. In Mallard bekommen die Einwohner Schnappatmung, wenn sie das Kind sehen. Die kleine Jude ist hier dem Mobbing der anderen Kinder ausgesetzt. Desiree hatte nie aufgehört, nach ihrer Schwester zu suchen. Aber es müssen Jahrzehnte vergehen, bis sich zufällig das Leben der beiden Schwestern wieder kreuzt. Der Lebensgefährte von Desiree ist ein Transmann. Auch er hat seine Familie verlassen, die mit seiner Andersartigkeit nicht klarkommt. Der Plot ist in die 50-er und 80-er Jahre gelegt – eine Gesellschaft, in der es Rassengesetze teils noch gab, sie mehr oder weniger weiter praktiziert wurden. Die Jim-Crow-Gesetze der Rassentrennung wurden 1948 zwar teils aufgehoben, aber erst 1964 in allen Bereichen. In den Köpfen der Menschen geisterte die Trennung aber noch lange weiter – bis heute. «Aber sie kamen nicht zurück. Stattdessen zerstreuten die Zwillinge sich nach einem Jahr und lebten ihr Leben so säuberlich getrennt, wie sie einst das Ei geteilt hatten. Stella wurde weiß, und Desiree heiratete den dunkelsten Mann, den sie finden konnte.» Erzählerisch stark breiten sich hier zwei Lebensläufe aus, eigentlich vier, denn die Töchter der Zwillinge werden ein Bindeglied. Rassismus auf allen Ebenen und Identitätsverleugnung: Schwärzer geht immer, aber weißer als weiß ist nicht zu überbieten. Stella lebt eine Lüge, verleugnet ihre Identität. Und als eine schwarze Familie in ihr weißes Viertel zieht, endet das mit einem Desaster – sie hört ihre Tochter sagen, dass sie nicht mit Ni... spiele, holt selbst die rassistische Keule heraus, um ihr Weißsein zu fundamentieren. Auktorial wechselt Brit Bennett zwischen den Perspektiven der verschiedenen Charaktere und blättert sie auf: Desiree und ihre Tochter Jude, Stella und ihre Tochter Kennedy. Fein erzählt mit tiefer Charakterstudie erinnert das Buch an den Stoff von Toni Morrison und James Baldwin. Wie weiß oder wie schwarz hat einer zu sein?, eine Thematik die Toni Morrison immer umtrieb. Brit Bennett schafft es, sich auf keine Seite zu stellen, ihre Figuren sprechen zu lassen. Ein feiner Roman zum Thema Rassismus.