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Der Roman «Schuld und Sühne» des Schriftstellers Fjodor Michailowitsch Dostojewski, neu richtig übersetzt mit «Verbrechen und Strafe», wurde ab Januar 1866 in zwölf Teilen in der Monatszeitung «Ruskji Vestnik» in Russland veröffentlicht und erschien erst über zehn Jahr später abgeändert in Buchform. Ein bedeutender Roman der russischen Literatur. Ein Kriminalroman, der sich mit der vorherrschenden Gesellschaftsform beschäftigt: Armut und Ungleichheit; mit einem Verbrechen und der daraus resultierenden Schuld. Sankt Petersburg um das Jahr 1860, Entbehrung, Akoholismus und Prostitution prägen das Straßenbild. Der arme Jurastudent Rodion Raskolnikow, der sich gerne mit Napoleon vergleicht, sich den meisten Menschen überlegen fühlt, glaubt, ein gewissenloser Mensch zu sein, der einfach tun kann, was er will. Um an Geld zu kommen, plant er den perfekten Mord. «Ich wollte bei der Ausführung die denkbar größte Gerechtigkeit walten lassen ... Unter allen Läusen wählte ich die allerunnützeste ...» Im Visier hat er eine habgierige Pfandleiherin, die für ihn Abschaum ist, weil sie letztendlich ihre Kunden, die von ihr abhängig sind, auspresst, betrügt. In ihrer Wohnung erschlägt er sie brutal mit einem Beil. Dummerweise kommt ihre Schwester dazu, die er nun auch erschlagen muss. Nach der Tat verfolgen ihn fiebrige Schuldgefühle, Dämonen überfallen seinen Geist. Die Angst, entdeckt zu werden, hängt im Nacken. Und obwohl ein anderer den Mord gesteht, wird der Mörder am Ende von der Hure Sonja geläutert, indem sie ihm von der Auferweckung des toten Lazarus vorliest. Er stellt sich, wird zu acht Jahren Strafarbeit in einem sibirischen Straflager verurteilt. Sonja begleitet ihn dorthin. Circa 700 Seiten hat der Klassiker, und ich war gespannt, wie diese Adaption als Graphic Novel umgesetzt wird. Zeichnungen arbeiten mit Emotionen. Soziales Milieu, ein Täter, der sich intellektuell überlegen fühlt, seine seelische Zerrissenheit nach der Tat, die ihn dann doch unerwartet überfällt, die Angst vor der Entdeckung. Seine Dämonen, die ihn dazu treiben, zu glauben, mit guten Taten etwas wieder gut zu machen. Die Umsetzung funktioniert. Natürlich spiegelt eine Graphic Novel nicht die russische Literatur. Darum geht es nicht. Die Bedeutsamkeit des Romans liegt ja in der Aussage. Und hier hat Bastien Loukia tiefe Atmosphäre geschaffen. Die Aquarelle geben das historische soziale Milieu wieder, die ärmlichen Lebensverhältnisse, wie auch in die Sankt Petersburger Gesellschaft; skurrile Typen, detailliert und ausdrucksstark gezeichnet, wechselnde Perspektiven. Menschliche Abgründe, der Konflikt von Rodion Raskolnikow kommt gut zur Geltung, ebenso seine Alpträume. Es gibt schauerliche Momente, sein Fieberdelirium, Träume, eine von ihm beobachtete Tierquälerei. Besonders gut hat mir der Mix aus verschiedenen Kunststilen gefallen, die sich immer wieder einschieben. Farben wechseln mit der Atmosphäre, detaillierte Figuren legen die Charaktere offen, in all ihrer Verderbtheit. Gleich zu Anfang werden die einzelnen Charaktere in Porträtform vorgestellt, eine sanfte Einführung auf die Figuren, die folgen werden. Ein Comic, das sich lohnt zu lesen. Eine Altersangabe hat der Knesebeck Verlag offengelassen. Es ist eine Allage Graphic Novel, die ab 14 Jahren empfehlen würde – ein Klassiker, der brutale Szenen beinhaltet. Bastien Loukia ist ein französischer Maler, Illustrator und Comic-Autor. Seine Arbeiten wurden vielfach ausgestellt, seine erste Graphic Novel über den Komponisten Eric Satie erschien in Frankreich im Jahr 2016.