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«Warum sind Kerle so scheiße? Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir verfolgt werden. Und als ich jetzt wieder über die Schulter gucke, ist er, jawoll, immer noch da. So ein Widerling. Seit wir auf dem Weg zum Stealth noch pinkeln waren, schleicht er uns hinterher. Echt mal: igitt. Es ist doch wohl offensichtlich, dass wir mit der Schule hier sind. Was zur Hölle stimmt nicht mit dem? Beschissene Mistkerle, alle miteinander.» Eigentlich wollte niemand von ihnen Model werden. Sie sind nicht schön, so meinen sie, man nennt sie in der Schule Giraffe oder Spargel: Groß, bleistiftdünne Beine und Arme, Schwanenhals, hohe Wangenknochen, porzellanartiger Teint. Meist werden sie von Scouts auf der Straße angesprochen, wie auch Jana. Das Mädchen mit buschigen Augenbrauen und herben Gesichtszügen, einem Jungen ähnelnd, bei einem Schulausflug entdeckt. Ich?, denkt sich die sechzehnjährige Jana, lachhaft, ich bin doch nicht schön! Aber man kann sich das mal anhören, denn der Scout, der sie ansprach, kommt von einer der renommiertesten Modelagenturen. Ihre Mutter geht mit ihr zum Gespräch, alles klingt behütet und fair. Nach den Probeaufnahmen erhält Jana auch gleich ein paar Aufträge. Alles ist easy, macht Spaß – obwohl, Mode interessiert Jana nicht die Bohne. «Zweites Mädchen. Drittes. Alles geht so schnell. Alle 30 Sekunden schickt die Furchteinflößende ein neues Modell los. Ich bin die Nächste. Oh Gott. Mein Herz platzt mir gleich aus dem Brustkorb wie dieses Alien im Alien. Und genau dieses Bild bekomme ich jetzt nicht mehr aus dem Kopf. Ganz toll. ‹Jana. Los.› Mach einfach, Hirni.» Und ziemlich schnell macht Jana Karriere. Fashion Week – die ja eigentlich vier Wochen dauert und in mehreren Städten stattfindet – sie wird gebucht und geht durch die Decke. Sie bricht die Schule ab, das Geld lockt und man kann über eine Fernschule seinen Abschluss erreichen. Jana und die anderen Mädchen stehen sich von Casting zu Casting die dürren Beine platt. Danach auf zum Cat Walk. Ein Kilo Make up, Chemie in den Haaren, Gezupfe und Gerupfe, Luft anhalten, wenn du ins Mieder geschnürt wirst, und Koffer gepackt, auf zu den nächsten Castings. «Er grinst und weist in die Ferne. ‹Siehst du das, ganz dahinten: Meatpacking District. Da lagen früher die Fleischverarbeitungsbetriebe. Du und ich, wir sind das Fleisch. Sie importieren uns, marinieren uns, frittieren uns. Und wir lassen es einfach geschehen. Tatsächlich glaube ich manchmal, dass wir Ihnen geschlachtet lieber wären, weil leichter zu händeln.» New York ruft. Jana fliegt allein, sie wird ja abgeholt, freut sich auf das kuschlige Modelappartement. Von wegen! Eine versiffte Bude mit Stockbetten und giftige Mädchen erwarten sie. Jetlag und Terminhetze, bloß nichts essen! Wozu sitzt man mit dem Team im Steakhouse, wenn man doch nur gedämpften Fisch mit Gemüse bestellen darf? Bloß nicht aufessen! Das Modelleben ist einsam immer mit dem Koffer unterwegs. Jana entfernt sich immer mehr von ihren Freunden zu Hause – von ihrem Freund. Wie hält man diesen Stress aus? «Drei Pillen am Tag, easy. Die Castings laufen so: Ich melde mich in irgendeinem schäbigen Dachgeschoss, Lagerhaus oder Büro. Wenn man schön früh da ist, kommt man meist ziemlich schnell durch. Die Designer treffe ich nie. Meist sind’s halt Caster. Einige wenige sind echt nett. Die anderen sind geisteskranke Despoten, die uns Models offenbar Grund tief hassen. Wir warten. Stundenlang. Manchmal, wenn man Glück hat, gibt es Stühle.» Stress pur, harte Töne, die Haut wird immer grauer, die Mädchen immer dünner. Einige nehmen Pillen, andere koksen, viele sind Kettenraucher, einige schmeißen alles ein. Jana klappt irgendwann zusammen. Und am Ende gibt es eine #metoo-Geschichte dazu. Prinzessin oder Model, die Träume der Teenies. Beides ist keine gute Idee. Juno Dawson beschreibt die Modewelt, wie sie ist, schnörkellos. Ihr müsst euch ausgewogen und gesund ernähren – so der Tenor der dickbäuchigen Agenten – aber wehe, einer nimmt zu oder wird mit etwas anderem als Apfel und Fisch mit Gemüse erwischt! Berühmt und gut bezahlt, aber einsam; ausgelaugt, psychisch gestört mit kaputtem Körper – so die Realität. Einzelzimmer, weniger Castings durch Direktbuchung, falls man berühmt wird. Jana hat es am Ende geschafft, ein Einzelappartement im Luxushotel zu erhalten, die mittlere und untere Garde muss sich mit versifften Hütten für Models abgeben. Doch glücklicher macht der Erfolg auch nicht. Juno Dawson beschreibt die Glitzerwelt der Mode in grauen Tönen ziemlich realitätsnah und legt mit Jana eine starke Heldin vor, die trotz aller Stärke fast zu zerbrechen droht. Die TV-Next-Model-Sendungen werden hier von den echten Models belächelt, Show, ohne die Wirklichkeit abzubilden. Denn die meisten von ihnen werden von Scouts entdeckt, kommen aus einfachen Verhältnissen, wie auch Jana, die in der Vorstadt von London aufgewachsen ist. Jugendsprache aus dem Milieu wird abgebildet, Stresssprache am Catwalk. Eine spannende Story über ein Mädchen auf dem Weg nach oben, das in den Abgrund fällt, zeigt, wie kalt und gnadenlos diese Branche ist. Ruppige Stylisten, Privatsphäre nein Danke, Rassismus und #metoo, die «Fleischbranche» erwartet, dass diese jungen Kleiderständer auf zwei Beinen funktionieren, noch weiter abhungern, bis zum Umfallen. Wer in 00 nicht hineinpasst, wird als fett beschimpft – 50 kg bei 1.80 Meter – bei all dem Stress nicht essen zu dürfen, bringt die Mädchen an den Rand des Wahnsinns. Ein sehr feiner Jugendroman, der die Hölle aufzeigt, die es abzuschaffen gilt. Jana ist dran … hoffen wir mit ihr auf eine bessere Zukunft. Manch einer mag meinen, die Sprache sei ein wenig vulgär an manchen Stellen. Es ist ein englisches Jugendbuch, spielt im einfachen Milieu, von daher ist die Sprache für mich stilistisch passend, ebenso das Geschrei bei Castings und Catwalk authentisch. Die Altersempfehlung vom Carlsen Verlag liegt bei ab 14 Jahren. Das ist ok. für mich, ein typischer Young Adult Roman, schon fast ein Road-Movie.