jankuhlbrodt
„Ich fliege Himmel an/ mit ungezähmten Pferden“ Von Greifswald aus zieht ein 400. Geburtstag weite Kreise, und er scheint mit einer Wiederentdeckung verbunden. Diese Wiederentdeckung der Dichterin Sibylla Schwarz wurde in allen größeren deutschsprachigen Feuilletons gewürdigt, und der Deutschlandfunk widmete ihr ein Kritikerinnengespräch im Büchermarkt. Anlaß waren drei zum Jubiläum erscheinende Ausgaben mit den Werken der Dichterin. Einerseits eine Ausgabe, von der dieser Artikel sich den Titel geliehen hat. Sie ist im Secession Verlag erschienen, im Rahmen einer Reihe von Bücher, die sich Autorinnen widmet, die in den vergangenen Jahrhunderten die Höhen des Parnassus locker erklommen haben, in der vorwiegend männlichen Überlieferung aber nicht die Anerkennung erfuhren und erfahren, die ihnen gebührt. (Vor einiger Zeit habe ich auf dieser Seite über eine Ausgabe mit den Werken der französischen Dichterin Louise Labé berichtet.) Sibylla Schwarz lebte von 1621 bis 1638. Sie wurde also gerade einmal 16 Jahre alt und lebte keinen einzigen Tag in Frieden. Ihre Leben war umschlossen vom Dreißigjährigen Krieg, der große Teile Europas verwüstete und fast ein Drittel der Bevölkerung auslöschte. Schwarz hinterließ dennoch oder vielleicht gerade deshalb ein eindrucksvolles dichterisches Werk, das alle Spielformen barocker Dichtkunst abbildet und in einer großartigen Qualität vorführt. Dabei orientiert sie sich an den Vorgaben des Martin Opitz, der 1624 die erste deutsche Regelpoetik vorlegte. Ihm widmet sie auch bewundernde Verse: Mein Opitz dem das Lob gebühret,/ Dass Teutschland seiner Sprachen Pracht/ und edlen Leier halben führet,/ Weil er den Anfang hat gemacht)/ wird billig obenan geschrieben/ bei den'n, die Kunst und Tugend lieben. Im Nachwort macht die Herausgeberin Gudrun Weiland auf einen spannenden Nebeneffekt die Normierung poetischer Sprache durch Opitz aufmerksam. Er räumt mit einem romantischen Vorurteil auf, dass nach wie vor durch die Köpfe deutscher Kunstliebhhaber wabert und in den Dichtern und Poeten, und hier sei die Reduzierung auf die männliche Form erlaubt, so etwas wie Originalgenies sieht. Weiland schreibt: „Dass man grundsätzlich das Dichten erlernen konnte, Begabung und Fleiß vorausgesetzt, war ein Programm, das sich zwar an die Gemeinschaft männlicher Gelehrter richtete, aber gerade Frauen den Zugang zur schriftstellerischen Tätigkeit außerhalb von Lateinschulen und Universitäten öffnete.“ Dass Sybilla Schwarz sich an die Opitzschen Regeln hielt, bedeutet aber nun keinesfalls, dass ihre Dichtung sich im Technischen abflacht, sondern sie entfaltet sich viel mehr mit Hilfe der Technik und wenn man so will durch die Technik hindurch in einen enormen gedanklichen Freiraum, in dem die Dichterin sich souverän zu bewegen weiß. Neben dieser Ausgabe, aus deren Nachwort ich zitierte, und die die Schwarzschen Texte behutsam einer heute gültigen Schreibweise angleicht, erscheint eine zweibändige Gesamtausgabe im Leipziger Verlag Reinecke & Voß, die vom Greifswalder Literaturwissenschaftler Michael Gratz betreut und herausgegeben wird. In ihr findet sich das Werk in der originalen sprachlichen Gestalt nach Genres geordnet und ausführlich kommentiert. Es kann überhaupt nicht schaden, diese beiden Ausgaben nebeneinander liegen zu haben und parallel darin zu lesen. Im Laufe des nächstem Monats wird eine dritte von Klaus Birnstiel im Wehrhahn Verlag besorgte Ausgabe erscheinen, die jene zeitgenössische von Sibylla Schwarz' Lehrer und Vertrauten Samuel Gerlach 1650 herausgegebenen Ausgabe abbildet und kommentiert.