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jankuhlbrodt

Posted on 22.2.2021

und hinter tausend Stäben ... Als das alles vor einem Jahr anfing und auch einige Autorinnen und Autoren begannen, Coronatexte zu schreiben, entwickelte ich so etwas wie eine innere Abwehr gegen das Thema. Es erschien mir zu nah, als dass es schon zu Literatur gerinnen könne und zu wenig dramatisch, als dass es spannende Tagebücher hergeben würde. Je länger aber diese Pandemie sich hinzieht, je mehr sie selbst dramatische Ausmaße annimmt, und je mehr aber auch sie in der literarischen Verarbeitung an Form gewinnt, umso mehr gebe ich meinen inneren Widerstand gegen Coronaliteratur auf. Zuallererst hängt das natürlich mit gelungenen Texten zusammen, wie zum Beispiel dem Buch „Pantherzeit“ von Marica Bodrožić, das gerade im Salzburger Otto Müller Verlag erschienen ist. Den Titel verdankt das Buch Rilkes berühmten Gedicht vom Panther, dessen Augen müd geworden sind, vom Vorüberziehn der Stäbe des Käfigs, in dem man ihn hält. Und hinter tausend Stäben keine Welt. Bodrožić liest dieses Gedicht während der Pandemie täglich auf ihrem Balkon. Und aus der Lektüre und aus der Beschreibung der Situation entspinnen sich Gedankenketten, die sowohl den Alltag betreffen, die Autorin lebt mit Mann und kleinem Kind in Berlin, die aber auch Parallelen weit über den Alltag im pandemischen Jahr hinaus ziehen. Das Thema ist immer wieder die Eingeschlossenheit. Bodrožić stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien und mit der pandemischen Erfahrung steigen Erinnerungen an Berichte aus dem belagerten Sarajewo der Neunziger auf, und Bezüge zu Lektüren über die Belagerung Leningrads durch die deutschen Truppen während des Zweiten Weltkrieges. „Ich denke immer wieder an die Bären im Zoo von Sarajevo, die den Menschen die Zukunft aufzeigten, die Belagerung dieser Stadt ankündigten, und in den Käfigen verendeten.“ Aber natürlich macht die Autorin aus der Coronasituation kein Kriegsszenario. Immer wieder weist sie darauf hin, dass in der Coronakrise die Menschheit sich gewissermaßen als Ganze einer Bedrohung ausgesetzt sieht, und nicht wie im Kriegsfall sich zwischen einzelnen militärischen Gruppen kriegerisch aufreibt. Und aus dem gemeinsamen Ausgeliefertsein entwickelt Bodrožić eben auch eine Utopie des gegenseitigen Beistands, ein gelebtes nachbarschaftliches Miteinander, das sich zuweilen im körperkontaktlosen Umgang zeigt, und vor allem in Momenten der Aufmerksamkeit, die über die unmittelbare Hilfe hinaus gehen. Aber auch die von den Menschen gequälte Natur gelangt in den Blick. Das Pantherhafte, das ihr anhängt, seit wir sie domestizierten. „Immer mehr Menschen sehen wie Rilkes Panther aus ihren Wohnungen hinaus auf die einst begangene Welt vor ihrem Fenster, die jetzt einer uns einenden planetarischen Wirklichkeit zum Spiegel geworden ist. Wir nehmen Abschied von dieser Zeit, in der uns alles zu gehören schien, der Himmel, die Meere, die Urlaubsreisen, die Hotels, die Strände, die Geschäfte, dass allzeit wählbare Brot, die Flüsse, die wir begradigt haben, und die nicht einmal mehr wie Flüsse aussehen – wir haben sie gekapert mit unserem Gift, mit unserem Müll und unseren maßlos gewordenen Wünschen nach Kontrolle.“ Vielleicht ist es ja genau das, was uns aus der Krise mitgegeben wird: das wir, um es religiös auszudrücken, unsere Mitgeschöpflichkeit zurück gewinnen, oder in philosophischen Worten; wir uns endlich nicht mehr als gegenüber der Natur begreifen, sondern als natürliche Wesen in der Natur.

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