letterrausch
Callan Wink ist keiner dieser Autoren, die außerhalb der Welt der Bücher nichts erlebt haben. Das kann man seiner Biographie entnehmen, man kann diese Erkenntnis aber auch genauso gut aus jeder Seite seines Debutromans „Big Sky Country“ herauslesen. Dieser Mann weiß, wovon er schreibt. Und er schreibt im Umkehrschluss über die Dinge, mit denen er sich auskennt: Die weite Landschaft Montanas, die Arbeit auf einer Ranch, die seltsamen Männerfreundschaften, das viele Bier. Sein Buch ist durch und durch männlich – im Guten wie im Schlechten. Es ist handfest, so realistisch, dass es manche Leser vermutlich abstoßen wird, und vieles bleibt ungesagt zwischen den Zeilen hängen. So wie beim Protagonisten August und seinem Vater, die beim Telefonieren mit Vorliebe übers Wetter sprechen und sich dabei ganze viele Dinge eben nicht sagen. Wink verbringt die Sommer als Angelführer für Touristen in Montana und zieht über den Winter ins wärmere Kalifornien, um zu surfen und zu schreiben. Bisher konnte man von ihm Kurzgeschichten lesen, „Big Sky Country“ ist sein erster Roman. Und er ist gut! In dieser Coming-of-Age-Geschichte folgt er dem Teenager August bis ins Erwachsenenalter. Wir lernen August kennen, da sind seine Eltern eigentlich schon kein Paar mehr. Seine Mutter wohnt ihm alten Haus, legt Patiencen und raucht Kette. Sein Vater, wohnhaft im neuen Haus, schläft mit seiner Ranchhelferin und versorgt die Milchkühe. August pendelt zwischen beiden hin und her, ist mal hier und mal dort. Schließlich trennen seine Eltern sich doch, und seine Mutter – angetan vom jugendlichen Brad Pitt in „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ - zieht mit ihrem Sohn nach Montana. Sie holt ihr Studium nach und fängt in einer Bibliothek an. August hat Schwierigkeiten, in der Schule dazu zu gehören und Freunde zu finden. Mal geht er angeln, mal schlägt er sich beim Football mit anderen Halbstarken die Köpfe ein. Seine Mutter hätte gern, dass er nach der Schule studiert, doch er mag nicht länger die Schulbank drücken. Er will lieber raus, Geld verdienen, auf eigenen Beinen stehen. Und so heuert er auf einer Ranch als Helfer an. Klingt nicht spannend? Ist es auch nicht und soll es auch nicht sein. Kann es gar nicht sein, denn Wink will eigentlich nur das Leben im Westen der USA beschreiben, in mäßig bezahlten Jobs, die jeder machen kann, der geschickt ist und ordentlich Muckis hat. Der weiß, was eine Ballenpresse ist und wann es höchste Zeit wird, das Heu einzufahren. Der sich nicht zu schade ist, in einfach möblierten Zimmern zu hausen und ständig Fertigfutter in sich hineinzustopfen. Ein einfaches Leben für einfache Gemüter ohne große Ansprüche und Träume. Hier wird nichts beschönigt. Das Leben auf einer Ranch ist selten ein Ponyhof und wenn nur genug Männer zusammenkommen, geht das meistens nicht gut aus. Callan Wink scheut sich nicht, solche Szenen ehrlich zu beschreiben und sich damit vielleicht auch den Zorn seiner Leser zuzuziehen. Dabei bleibt er immer neutral. Er verharrt immer in seiner Position des Beobachters, der zwar niederschreibt, Geschehnisse oder Figuren aber nicht bewertet. Er schlägt sich nicht auf die Seite von Augusts Mutter, die verbittert über ihre frühe Heirat und ihr abgebrochenes Studium ist. Er steht auch nicht auf der Seite von Augusts Vater, der mit den spinnerten Ideen seiner Frau nichts anfangen kann und auf seiner Farm jemand handfestes braucht, um die tägliche Arbeit zu schaffen. Wink bleibt neutral, wenn Augusts Vater seinem jugendlichen Sohn Geld verspricht, wenn dieser die Katzen in der Scheune umbringt. Und er bewertet auch nicht, wenn eine Party während der Highschool dermaßen aus dem Ruder läuft, dass ein Mädchen vergewaltigt wird. Mancher Leser wird sich dadurch wahrscheinlich alleingelassen fühlen; er möchte vom Autor an die Hand genommen werden, möchte, dass dieser die Ereignisse einordnet und damit die eigenen moralischen Grundfesten bestätigt. Dem verweigert sich Callan Wink jedoch rigoros. Jeder Leser darf und muss für sich selbst entscheiden, wie er die verschiedenen Ereignisse und Charaktere bewerten möchte. Jeder Leser ist aufgerufen, den Roman an seinem eigenen moralischen Kompass zu messen. Mir hat diese literarische Methode sehr gut gefallen. Ich mag es, wenn ein Autor mir zutraut, das Gelesene einordnen zu können anstatt mir alles bis ins kleinste Detail erklären zu müssen. Callan Winks Sprache ist sehr reduziert, sehr zurückgenommen. Große Pinselstriche sind nicht seine Sache. Augusts Geschichte ist eine von hunderten, vielleicht von tausenden. Nichts macht sie besonders. Und trotzdem schummelt sich der Protagonist ins Herz des Lesers. Ich jedenfalls habe die Lektüre sehr genossen.