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naibenak

Posted on 15.2.2021

" Der Kindheit kann man nicht entkommen, sie hängt an einem wie ein Geruch. [...] ... Verstohlen beobachten wir die Erwachsenen, deren Kindheit zerlumpt und durchlöchert in ihnen liegt wie ein abgewetzter, mottenzerfressener Teppich, an den niemand mehr denkt und den niemand mehr braucht. Man sieht ihnen nicht an, dass sie eine Kindheit hatten..." (S.31) "Am Morgen war die Hoffnung da." (erster Satz) Dies sind nur einige Eindrücke aus dem autobiografischen ersten Teil der Kopenhagen-Trilogie von Tove Ditlevsen aus dem Jahr 1967. Tove schreibt hier eindrücklich von ihrer Kindheit und der Tatsache, dass sie selbst in ärmlichen Verhältnissen als Außenseiterin aufgewachsen ist. Außenseiterin deshalb, weil sie sehr schlau gewesen ist und belesen, dies aber nicht in ihrem Umfeld zeigen konnte. Niemand hätte sich für ihre Gedichte interessiert, die Tove heimlich geschrieben hat, um ihre schwierige Kindheit verarbeiten zu können. Sie wirkt stark, hoffnungsvoll, aber einsam und später zunehmend schwermütig. Mit gewaltiger Poesie schreibt die Autorin rückblickend durch ihre Kinderaugen und Kinderseele. Eine wunderbare sprachliche Kombination, die teils traurig macht, teils schmunzeln lässt, aber in jedem Moment unendlich berührt. So erfahren wir einiges aus dem Kopenhagen in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, über Armut, Arbeitslosigkeit, Arbeiterbewegung und insbesondere über die damaligen Rollenverhältnisse innerhalb von Familien und in der Gesellschaft. Das ist zuweilen sehr erschütternd. Tove ist ihrer Zeit schon weit voraus, kann sich aber aufgrund dieser gesellschaftlichen Dogmen (noch) nicht verwirklichen. Aber auch über das schwierige Verhältnis zur Mutter erfahren wir viel und die ewige Sehnsucht Toves nach ihrer Anerkennung... FAZIT: Eine absolut großartige biografische Erzählung, die ihresgleichen sucht. Jeder Satz sitzt und berührt. Und über allem strahlt eine Poesie, die fasziniert. LESEN! Hier noch eine tolle Erklärung von Toves Art zu schreiben aus dem Nachwort der Übersetzerin: "Sie schreibt sich ganz nah an die Erinnerung heran, was zu einem Eindruck größter Unmittelbarkeit und Gegenwärtigkeit führt - damals wie heute. Die Leidenschaft, mit der sie ihr Leben lebte und über es schrieb, bleibt jenseits aller literarischen Trends und Strömungen faszinierend und zeitlos." (S.120)

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