kingofmusic
Julian Barnes war mir bisher eher als Romanautor bekannt. Dass er jedoch auch andere "Gattungen" erfolgreich "bedienen" kann, beweist er mit seinem famosen Portrait über den französischen Arzt Samuel Pozzi (1846-1918) mit dem Titel "Der Mann im roten Rock", welches in hochwertiger Qualität vom Kiepenheuer&Witsch-Verlag herausgebracht wurde. Ein definitives Schmuckstück in jeder Sammlung! Barnes schreibt allerdings keine schnöde 08/15 Biografie über einen Arzt, der mir (zugegeben) bis zum jetzigen Zeitpunkt völlig unbekannt war. Stattdessen entwirft er zusätzlich zu den biografischen Einsprengseln Kaleidoskop artig ein Portrait der sog. „Belle Èpoque“, verbindet nützliches Wissen über Kunst, Literatur, Politik etc. mit anekdotischen Absätzen, über die man bei der Lektüre schmunzeln oder den Kopf schütteln kann und schafft es trotzdem, die geneigte Leserschaft „bei der Stange“ zu halten, indem er immer wieder den „Running Gag“-Satz „Wir wissen es nicht.“ einstreut. Am Ende trägt er alles „Nichtwissen“ mit einem Augenzwinkern noch einmal zusammen. Ein zusätzlicher Pluspunkt dieses einzigartigen Portraits sind die vielen Abbildungen, die das Buch und die Lektüre „lebendig“ gestalten. Man lernt dadurch viele Zeitgenossen von Dr. Pozzi und seinen beiden Begleitern, dem Grafen Montesquiou und dem Prinzen Edmonde Polignac kennen, trifft auf (literarische) Bekannte wie Oscar Wilde, Marcel Proust, die Brüder Goncourt und Gustave Flaubert (um nur ein paar zu nennen) und wird „Zeuge“ von fortschrittlichen Entwicklungen im Gesundheitswesen, für die sich Samuel Pozzi vehement eingesetzt hat. Auch werden die teilweise gravierenden Unterschiede zwischen Frankreich und England (etwa im Prozesswesen) eingestreut. Den Abschluss des Buches bildet ein leidenschaftliches Plädoyer Julian Barnes´ für Europa; wer mag es ihm verübeln, wo sein Heimatland doch gerade erst aus der EU ausgetreten ist… Obwohl die Lektüre an der ein oder anderen Stelle alles andere als leicht ist, sei dieses Buch all jenen empfohlen, die gerne „puzzeln“ und ein wenig Geduld aufbringen. Volle Leseempfehlung und entsprechend 5*. ©kingofmusic