cule_jule
Zeitgemäße Thematik - brilliant, erschütternd und intensiv verpackt Bei diesem Buch musste ich mehrere LesePausen einlegen. Pausen zum Nachdenken, zum Verarbeiten, zum Kopfschütteln. Dies ist die Geschichte von Vanessa, die mit fünfzehn Jahren das erste Mal mit ihrem Englisch-Lehrer schlief. Die 443 Seiten haben mich gefesselt. Beginnend mit dem Jahr 2017, wo Vanessa aus den Schlagzeilen erfährt, dass Strane (ihr damaliger Englisch-Lehrer) von einer ehemaligen Schülerin wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt wurde, wechselt die Geschichte zwischen Gegenwart und Vergangenheit aus den Jahren 2000/2001, wo der Leser erfährt, wie das erste Aufeinandertreffen und die gemeinsame Entwicklung zwischen Vanessa und Strane entstanden sind. Schritt für Schritt taucht der Leser in die Schlinge der Manipulationen und Verhaltensweisen von Strane und Vanessa ein. Dabei wird kein Detail ausgelassen. Die erste Berührung, der erste Sex, die ersten Manipulationen, die ersten Lügen. Und dabei lautet stets die Kernfrage, was eigentlich Missbrauch ist und was nicht?! Die Wechsel zwischen den Jahren haben mir gefallen. Dadurch konnte man die zuvor aufgeführten und zum Teil heftigen Ereignisse "besser verdauen". Die 32-jährige Vanessa aus dem Jahr 2017 hat mich persönlich wütend gemacht. Sie selbst sieht sich nicht als Missbrauchsopfer und ist von einer wahren Liebe zwischen ihr und Strane von Anfang an überzeugt. Sie selber merkt ihre bis dahin entwickelte emotionale Anhängigkeit zu Strane nicht. Und genau darin liegt das für mich Faszinierende am Buch. Die Grenzen zwischen Begehren und Missbrauch verschwimmen nach und nach. Vanessa's Festhalten an ihren Verhaltensweisen, das Nicht-Eingestehen und Nicht-Wahrhaben der Realität. Als Leser fühlte ich mich, wie ein Aussenstehender, welcher nach und nach immer tiefer in die postraumatischen Verhaltensweisen von Vanessa eingetaucht ist. Ich fühlte eine Hilflosigkeit, ein Verlangen zu helfen. Diese Geschichte ist zeitgemäß und stellvertretend für alle, die genauso eine Erfahrung gemacht haben, wie die in diesem Fall, fiktive Vanessa. Dieses Buch ist definitiv nichts für schwache Nerven und greift ein notwendiges Thema auf, inwieweit wir Minderjährige vor Missbrauch schützen können und vor allem sollten und müssen. Definitiv Lesenswert.