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Buchdoktor

Posted on 14.2.2021

Als Antonia Baums Mutterschutzzeit beginnt, sieht sie ihre Umgebung mit anderen Augen, einfach weil sie zu anderen Tageszeiten zuhause und in ihrem Viertel unterwegs ist. Sie beschreibt ihre Wohnsituation als am Rand liegend, am Rand zwischen Wohlstand und Verwahrlosung in einer deutschen Großstadt. Als ihr Buch entsteht, rückt eine Bevölkerungsgruppe, die „Probleme mit der Komplexität der Gegenwart“ hat, gerade in den Focus des öffentlichen Interesses. Auf gut Deutsch: Die jungen Eltern leben in einer preiswerten Wohnung mitten unter Migranten und Menschen, für deren Probleme niemand zuständig ist. Bis zu ihrer Schwangerschaft war Baum finanziell unabhängig gewesen und überzeugt davon, keine Emanzipations-Diskussion zu benötigen. Als Mutter ist sie nun überraschend damit konfrontiert, dass Arbeiten, die gern Frauen zugeschrieben werden, am wenigsten anerkannt und am schlechtesten bezahlt werden. Möglichen Auseinandersetzungen mit ihrem Partner über die Organisation des Haushaltes war sie bisher durch scheibchenweises Outsourcen aus dem Weg gegangen. In ihrem Milieu lässt man putzen, liefern, fahren oder geht essen, wenn, wer auch immer, nicht eingekauft hat. Mit einem Baby brechen genau die Konflikte um Organisation, Verantwortung und Vereinbarkeit auf, von denen die Autorin bis dahin annahm, dass sie sie nie haben würde. Antonia Baum reflektiert ihre persönliche Situation vor aktuellen Rollen- und Mutterbildern und ist sich ihres speziellen Tunnelblicks sehr bewusst als Akademikerin, die über Mutterschaft liest und veröffentlicht. So recherchiert sie schon zu Beginn ihrer Schwangerschaft, ob sich Mutterschaft und das Verfassen eines Romans ausschließen. 0 bis 1 Kind haben erfolgreiche Autorinnen im Schnitt; ihre Angst vor einem Karriereknick scheint nicht abwegig zu sein. Konkurrenz unter Müttern, das Nicht-Loslassen-Können, weil der Vater dem Kind ein falsches Jäckchen anziehen könnte, Konsumterror durch soziale Netzwerke, Krabbel-Gruppen-Interna und die Zumutung als Mutter mit Baby andere Menschen um Hilfe bitten zu müssen, all das beschreibt Antonia Baum mit spitzer Feder in einem zu bitteren Ton. Die Presse, die Müttern genau erklären kann, was sie falsch machen, spart sie dabei nicht aus. Warum ihre eigene Mutter ihr Leben mit vier Kindern weniger bejammernswert fand als ihre Tochter ihr Schicksal als Elterngeld-Empfängerin, darauf kommt Baum zum Glück selbst. Wer noch kein Internet hat, hat auch keinen Konsum-Terror in der Timeline. Das akademisch-publizistische Milieu kreist hier deutlich um sich selbst; wer nicht dazu gehört, wird vermutlich die Augen verdrehen, was sich heute alles problematisieren lässt. Antonia Baums Analyse der Perfektionismus-Falle ist dennoch lesenswert; denn junge Mütter sollten nicht derart vereinsamen – auch Journalistinnen nicht …

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