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Buchdoktor

Posted on 13.2.2021

Die 1917 geborene Tove Ditlevsen wuchs mit der Forderung auf, dass Jungen später Ernährer einer Familie sein, Frauen heiraten und den Haushalt führen werden. Obwohl Tove eine sehr gute Schülerin war und sich wünschte, später einmal Dichterin von Beruf zu werden, konnten ihre Eltern sich nur schwer einen anderen Lebensweg für ihre Tochter vorstellen. Die Suche nach einer Arbeitsstelle wird für Tove zum Irrweg, weil sie keine Vorstellung davon hat, was sie – außer Dichten – interessiert und vor allem, mit welcher Arbeit sie ein unabhängiges Leben finanzieren will. Ihren Eltern ist der Widerspruch nicht bewusst, dass eine berufstätige Tochter für ihren eigenen Lebensunterhalt arbeitet und den Haushalt der Eltern nicht mehr unterstützen wird. Tove erledigt in einigen ihrer wechselnden Jobs Büroarbeiten. Ihr ist jedoch nicht klar, dass Stenografieren und Maschineschreiben messbare Leistungen sind und beruflicher Aufstieg durch Leistung möglich ist. Mit entsprechenden Zeugnissen könnte sie sich für interessantere, sicherere und besser bezahlte Stellen bewerben. Stets auf der Suche danach, ihre Gedichte zu veröffentlichen, lernt sie jedoch Mentoren kennen, die ihr einen kurzen Blick in ein völlig anderes Leben ermöglichen. Dass sie dabei das Idealbild eines wohlhabenden älteren Mäzens entwickelt, der sie berät und finanziert, kann sie nur ins Unglück führen … In schlichter Ichform erzählt Ditlevsen mit rund 50 Jahren während einer Entgiftungskur rückblickend von ihrer Kindheit und Jugend in der Arbeiterschicht. Deutlich wird in ihrer Biografie, dass die starren Rollenzuschreibungen der 30er und das Konzept der Versorgungsehe spätestens in Krisenzeiten nicht zu erfüllen waren. Selbst die Arbeitslosigkeit ihres Vaters führt nicht zur Einsicht, dass ihre Eltern unerfüllbaren Idealen anhängen. Wie Jugendliche in einer Großstadt in den 30ern des vorigen Jahrhunderts so weltfremd aufwachsen konnten, finde ich aus heutiger Sicht schwer begreiflich. In Deutschland wurde zu jener Zeit in Arbeiterfamilien gepredigt: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, das hieß: halte durch bis zur Prüfung, zeig deiner Gnädigen/deinemChef/deinen Eltern, dass du es schaffst, spare für deine Träume. Danach fahr unsretwegen zur See, werde Opernsängerin; denn falls du scheiterst, hast du vorher etwas gelernt, das dich ernähren kann. Fazit Wegen Ditlevsens mangelnder Reflexion ihrer Ziellosigkeit hat mich der zweite Band der Kopenhagen-Trilogie weniger überzeugen können als der erste. Nachdem ich den dritten Band gelesen habe, ergibt im Gesamtbild ihre glücklose Suche ihre Brötchen zu verdienen jedoch wieder Sinn. Toves unentschlossenes Job-Hopping ohne zu wissen, was ein eigenständiges Leben rein finanziell kostet, lässt mich mit der Befürchtung zurück, dass es mit ihr kein gutes Ende nehmen kann. Die Trilogie 1. Kindheit (1967) 2. Jugend (1967 ) 3. Abhängigkeit (dänisch Gift 1971, dt. „Sucht“ suhrkamp, Übersetzerin Erna Plett, 1994)

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