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daniliest

Posted on 12.2.2021

„Grenzgänger“ von Mechthild Borrmann umfasst nur knapp 300 Seiten doch jede davon ist vollgepackt mit Informationen. So gelingt es der Autorin auf wenig Raum eine detaillierte Geschichte zu erschaffen, die den Leser immer wieder aufs Neue schockiert und sprachlos macht. Das Buch erzählt vom Scheitern der Familie Schöning. Einst bestand sie aus glücklichen Eheleuten mit vier Kindern. Doch als der Vater schwer traumatisiert aus dem Krieg zurückkehrt und die Mutter überraschend stirbt, sind die Kinder mehr oder weniger auf sich gestellt. Die älteste Tochter Henni wird zur Haupternährerin in dem sie Kaffee, Butter und sonstige Mangelware über die Grenze schmuggelt, bis es zu einem folgenschweren Zwischenfall kommt. Henni muss in eine Besserungsanstalt und ihre jüngeren Geschwister kommen ins Kinderheim. In den 50er Jahren herrschte zum Thema Kindererziehung eine komplett andere Einstellung als heute. Gehorsam war das A und O. Die Meinung eines Kindes zählte wenig und unliebsame Wahrheiten wurden gerne als Lüge abgestempelt. Die beschriebenen Zustände im christlichen Kinderheim sind schockierend und bei den dort praktizierten Erziehungsmethoden handelt es sich um Kindesmisshandlungen der schlimmsten Sorte. Auch in der Besserungsanstalt (was für ein Wort...) sieht es nicht viel humaner aus. Mir haben diese Kinder unglaublich leid getan, da sie im Grunde überhaupt nichts falsch gemacht haben, aber auf eine Art bestraft wurden, die man heutzutage noch nicht einmal Verbrechern zukommen lässt. Am traurigsten gestimmt hat mich, dass die Ursache für all das die posttraumatische Belastungsstörung des Vaters war und dass diese Dinge früher einfach nicht behandelt wurden. „Grenzgänger“ ist schwer verdauliche Kost, die einen interessanten Einblick in die Vergangenheit liefert.

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