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wandanoir

Posted on 11.2.2021

Ein Meisterwerk Der Roman „Unter der Drachenwand“ von Arno Geiger ist ein Meisterwerk. Da beißt die Maus den Faden nicht ab. Allerdings beschäftigt es sich mit den Geschehnissen im Zweiten Weltkrieg und das ist ein Thema, das manche Leser aus gutem Grund nicht mehr hören können. Das heißt, nicht mehr lesen wollen, und zwar deshalb, weil man mit dieser Thematik sich ewig und drei Tage lang ja schon beschäftigt hat. Allerdings müssen, beziehungsweise sollten auch die nachrückenden Generationen darüber lesen. Und Arno Geiger gestaltet seinen Roman so unterhaltsam, dass man ihn jedem Heranwachsenden in die Hand geben kann. Kern des Romans sind die Aufzeichnungen des jungen Soldaten Veit. Wir befinden uns im vorletzen Kriegsjahr Mitte 1944 und er kommt nach 4 Jahren Front verwundet nach Hause. Weil er es bei den Eltern nicht mehr aushält, verzieht er sich ins österreichische Mondsee, wo ein Onkel wohnt und eine obrigkeitshoheitliche Position innehat. Dort „Unter der Drachenwand“ spielt der überwiegende Teil des Romans. Arno Geiger läßt viele Figuren zu Wort kommen, der junge Soldat, traumatisiert und verwundet, schon lange am Sinn des Krieges zweifelnd, ist der Haupterzähler, doch auch andere Menschen, Flüchtlinge, die in Mondsee gestrauchelt sind, die daheimgebliebenen Angehörigen, die 1944 allmählich an die Grenzen ihrer Belastbarkeit kommen, vor allem nach den Bombardements der Großstädte, kommen vor und zu Wort. Da marschieren Kinder, erlebt, wer auch immer irgendwie anders ist, Furchtbares, unter den Mitläufern und Möchtegerns ächzt die Dorgemeinschaft, es schreiben verliebte Kinder bewegende Briefe, Juden in Wien können nicht glauben, dass ihnen Lebensgefahr droht und treffen falsche Entscheidungen. Die Sprache Geigers ist on the top. Seine Bilder gehen unter die Haut. Geiger hat es nicht nötig, unnötig Blut spritzen zu lassen, Schockelemente einzubauen, wie es die Krimischreiber gerne tun, um Aufmerksamkeit zu erheischen, dennoch kommt alles so nah, so nah. Der Autor geht in die Menschen hinein und nicht um sie herum. Und das ist bewegend. Eine junge Liebe hat in diesen Zeiten kaum eine Chance. Ja, hat die Liebe unter den Menschen überhaupt noch eine Chance? -- Im Hörbuch kommen noch einmal mehr das Besondere wie auch die Besonderheiten des Romans heraus, die aus Tagebüchern und Briefen bestehen und von verschiedenen Stimmen gesprochen werden. -- Fazit: Einfach ein Meisterwerk. Und wenn man noch so viele Romane über den Zweiten Weltkrieg gelesen hat, dieses hier sollte man nicht auslassen. Warum im Jahre 2018 nicht dieser Roman auf dem Siegertreppchen des Deutschen Buchpreises stand, sondern ein relativ dumpfer Roman über Teneriffa, den ich interessehalber natürlich auch lesen wollte, aber aus unerträglicher Langeweile abbrechen musste, ist eines der ungelösten Rätsel in der Geschichte der lesenden Menschheit ;-). (Wenigstens) nominiert für die Longlist des Deutschen Buchpreises 2018. Mein erstes Lesehighlight 2021 Kategorie: Belletristik. Anspruchsvolle Literatur. Verlag: Hörbuch Hamburg, 2018 oder Hanser Verlag, 2018

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