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hermunduh

Posted on 11.2.2021

1984 von George Orwell in neuer Übersetzung wiedergelesen Anfang 1984 lebten wir in Weimar, als ob jeder Tag unser letzter sein könnte. Vieler meine Freunde saßen im Knast, einige waren aus der DDR bereits ausgereist, ich sah für mich außer Knast kein Perspektive mehr in der SED-Diktatur. Wie so oft, ließ sich Trost aus Freundschaften und Büchern schöpfen. Orwells 1984 hatte uns auf verschlungenen Pfaden erreicht, das völlig zerfledderte Buch wurde gehütet wie ein Schatz und in der Gruppe herumgereicht. Ich war nach der Lektüre sehr entspannt, erwartete den Weltuntergang, lachte über die Stasi und ließ es mir gut gehen. Was sollten sie mir noch tun? Diese Haltung war womöglich einer der Gründe, dass ich Mitte Februar 1984 nach Westberlin ausreisen durfte. Heute lese ich es mit der Erfahrung der Jahre. Die Geschichte Winston Smiths, eines Mitarbeiters im Ministerium der Wahrheit, dem die Wirklichkeit die Augen öffnet und dessen finaler Ausweg folgerichtig Wahnsinn oder Tod heißt, bewegt. In einer Staatsdiktatur zählt der Einzelne nicht, dazu genügt ein Blick in die aktuellen Medien. Entmündigung, Gehirnwäsche, Geschichtsfälschung werden nach wie vor von Diktatoren wie Kim, den Mullahs im Iran und Diktatörchen wie Lukaschenko, Putin, Trump oder Erdogan praktiziert. 1984 habe ich nun wieder in einem Ruck verschlungen. Zeitgemäß übersetzt von Gisbert Haefs übersetzt und mit einem erhellenden Nachwort von Mirko Bonné versehen, ist das Buch eine starke Empfehlung für die kommenden Tage des Frosts. 1984: Roman. Neu übersetzt von Gisbert Haefs, mit einem Nachwort von Mirko Bonné, George Orwell (Autor), Mirko Bonné (Nachwort), Gisbert Haefs (Übersetzer), Manesse Verlag, München 2021, 448 Seiten, ISBN: 3717525288, 22 Euro

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